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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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Ist übrigens nicht strafbar, Herr Kommissar, ein anderer Mensch zu werden. Oder?«
    »Es geht mich nichts an, aber Ihre Gelassenheit finde ich doch erstaunlich«, sagte Maler. »Darf ich Sie beide fragen, warum Sie sich nicht erkundigen, wie Wolfgang von Kattenberg ermordet wurde und vielleicht, warum? Interessiert Sie das gar nicht?«
    »Wir sind keine neugierigen Menschen«, antwortete Maria von Gerrach.
    »Ich würde tippen, dass es um Geld ging«, sagte Breitmann.
    »Was meinen Sie?«, fragte Maler.
    »Es geht doch immer ums Geld«, sagte Breitmann. Und fuhr fort: »Da ist noch etwas, das die Nazi-Kinder unterscheidet, was Maria vorhin noch nicht genannt hat: Es gibt die Reichen und die Armen. Die Reichen haben es geschafft, das Geld aus dem Dritten Reich zu retten, die Armen haben das nicht geschafft. Die von Kattenbergs sind sehr reich, bis heute. Ich zum Beispiel bin arm, man könnte sagen: mittellos. Deshalb bringt mich auch niemand um.« Er kicherte.
    »Mittagessen im Käfer – so mittellos sieht das hier nicht aus«, sagte Maler.
    »Maria zahlt, immer«, antwortete Breitmann. »Ich will Sie nicht mit meinem Lebenslauf langweilen. Aber ich habe nie einen Beruf gelernt, nie eigenes Geld verdient. Das Einzige, was ich habe, ist ein Spendenkonto. Anhänger meines Vaters, alte und junge, zahlen auf dieses Konto ein, mal anonym, mal mit Namen. Es ist nicht viel, Herr Kommissar, keine Sorge, aber es ist das einzige Geld, was ich habe. Wenn Sie so wollen, bezahlen Nazis meinen Unterhalt. Schlimm, Herr Kommissar?«
    »Das müssen Sie schon selbst wissen«, sagte Maler.
    Es entstand eine Pause. Die Kellner hatten den Tisch längst abgeräumt.
    »Frau von Gerrach«, sagte Maler, »Sie sprachen vorhin von den drei Möglichkeiten, die Leute mit Ihrer Familiengeschichte haben. Sie haben für sich also den ersten Weg gewählt?«
    Walter Breitmann startete wieder sein Kichern.
    Maria von Gerrach sagte: »Walter und ich machen das so: Wir bieten eine Oberfläche, auf der sagen wir politisch Korrektes, dass sich das Dritte Reich nie wiederholen darf, solche Sachen. Und was wir wirklich denken, behalten wir für uns, und zwar wirklich für uns. Wir glauben nämlich, dass unsere Geschichte nur einer versteht, der auch eine solche Geschichte hat. Und genau deshalb sind die Nazi-Kinder eine verschworene Gemeinschaft, ob sie wollen oder nicht.«
    »Fluch und Segen«, kicherte Breitmann.
    »Und deshalb wissen Sie beide auch so gut Bescheid über das Leben der anderen Nazi-Kinder?«, fragte Maler.
    »Ja, deshalb, weil es unser Leben ist«, sagte sie. »Wir sind eine ziemlich große Gruppe. Wir feiern Geburtstage zusammen, Taufen der Kinder, wir sehen uns bei Abiturfeiern und bei Beerdigungen. Und wir bleiben unter uns. Keiner spricht darüber, was wir tun.«
    Maler schaute die beiden an, ihre Gesichter, und sie fingen an zu verschwimmen, sie verzerrten sich, wurden zu Grimassen. Maler wusste nicht mehr, wo er hinschauen sollte. Die Halluzinationen, dachte er, bitte nicht jetzt … Die Gesichter der Alten wurden zu Horrorfratzen, unterstützt vom Grinsen der Maria von Gerrach, flankiert vom Dauergekicher Walter Breitmanns. Für einen Moment dachte Maler, er würde ohnmächtig. Wurde er ohnmächtig?

    Ein paar Stunden später auf dem Balkon seiner Wohnung war August Maler eingenickt. Ein paar Minuten – oder länger? Jedenfalls hatte er diese schrecklichen Gesichter vor sich. Ein Albtraum. Nein, es war doch real gewesen, er hatte doch vor ihnen gesessen. Er hatte mit ihnen über Christian Senne geredet, über dessen Hass auf seinen Vater. Er hatte gefragt, was er hatte fragen wollen. Kein Albtraum. Realität. Oder gehörte das eine zum anderen? Durch das offene Balkonfenster hört er die Kinder spielen. Realität. Er schaute auf die Uhr, sieben Uhr abends, die Luft war grau und warm, es hatte aufgehört zu regnen. Maler hatte Angst. Er hatte das Gefühl, seine Angst sei größer geworden, seit er die Tabletten abgesetzt hatte, die meisten wenigstens.
    Es war gut, dass jetzt die Balkontür aufging und Inge kam. »Na, Herr Kapitän, alles okay?«, fragte sie. Sie nannte ihn oft Kapitän, was ihm gefiel, meistens wenigstens.
    »Bin gerade eingeschlafen. Horror. Die Gesichter der beiden Alten sind mir erschienen, wie in der Geisterbahn.«
    »Von meinem Tisch aus sahen die zwei freundlich aus, wie zwei nette alte Leute«, sagte Inge. Sie war mitgekommen, hatte drei Kaffee und eine große Flasche Wasser getrunken, und ein Stück

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