Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)
Kattenberg«, Unterzeile: »Was jetzt zu tun ist«. Sein Verschwinden wurde mit einer schweren Rückenoperation eingeleitet, der er sich angeblich unterziehen musste, mit langem Klinikaufenthalt in Australien. Tretjak hatte ihm ein paar Basics erklärt: Wenn man ein neues System startete, musste sich das alte auflösen; jeder Kontakt zwischen dem alten und dem neuen System gefährdete in hohem Maße das gesamte Projekt. Was in seinem Fall konkret bedeutete: keinerlei Kontakt mit der alten Familie, mit dem alten Leben, keinerlei Kontakt mit den drei anderen Verschwundenen, und zwar für immer. Und es bedeutete, dass Tretjak auch die Journalistin loswurde, ebenfalls in ein neues Leben. Sie hatte es gar nicht gemerkt, die Verwirklichung eines Traums, so etwas in der Art, sie dachte, es wäre ihre Entscheidung. Und Tretjak hatte ihm auch seine Verlobte vom Hals geschafft. Gott, war das mal eine angenehme Trennung gewesen, ohne den lästigen Seelenschmerz.
Dann war da noch die Sache mit dem Namen. Tretjak hatte es eine Kontrollmaßnahme genannt. Alle hießen von nun an wie er. So könnte er sie leichter im Blick behalten. Als er, Patrick von Kattenberg, diesen Vorschlag abgelehnt hatte, hatte Tretjak geantwortet: »Sie verstehen nicht, es ist kein Vorschlag, es läuft entweder so oder gar nicht. Sie können sich das 24 Stunden überlegen.« Am Ende hatte er ihm einen Buchstaben abhandeln können. Tretyak. Mit Ypsilon. Ein Buchstabe, immerhin. Er hatte es wieder geschafft, nicht zu sein wie die anderen.
Neun Jahre. Der Mann, der seitdem Tretyak hieß, nahm an seinem Schreibtisch Platz, drückte auf die Telefontaste und bestellte bei seiner Sekretärin eine frische Kanne grünen Tee. Er öffnete eine schwarze Mappe aus Pferdeleder, drei Fotos lagen darin, eines von seinem Bruder, jeweils eins von den beiden Cousins. Fünfzehn Jahre alt waren diese Bilder, aufgenommen im Garten ihres Heidelberger Hauses. Altes Leben. Und jetzt waren sie tot, alle drei, alle drei umgebracht. Grausam umgebracht, keine schöne Sache. Er schaute sich die Bilder an. Neun Jahre nicht mehr gesehen. Spürte er irgendeinen Schmerz? Nein. Er hatte seine Familie noch nie gemocht, und die drei auch nicht. Die drei waren tot, und wann war er an der Reihe? Hatte er Angst? Ein klein wenig vielleicht. Aber im Grunde war er sich sicher, dass es bei ihm um etwas anderes ging. Um Geld, wie immer? Um Macht? Wann kam der Erpresseranruf, der Brief, die Mail? Warum kam nichts?
Was war das für ein System, das hier zurückschlug?
Vor zwei Jahren hatte es die Sache mit dem verrückten Christian Senne gegeben. Er wollte 500000 Euro, zur Behandlung seiner Krankheit, zur Altersversorgung seiner Frau. Es hatte verschiedene Überlegungen gegeben, das Problem aus der Welt zu schaffen. Sollte man nun an die Öffentlichkeit gehen? Sollte man ihn aus dem Weg räumen? Man entschied sich fürs Zahlen, alle waren überzeugt, Senne würde nicht noch einmal mit Forderungen kommen. Ein armer Hund, der sich viel zu viel Kopf machte um seinen mörderischen Vater, ein armer Hund, der am Ende seines Leben auch mal ein bisschen Kohle haben wollte, wenn auch nur für seinen Krebs. Konnte dieser tragische Mensch hinter der Mordserie stecken? Das konnte er sich nicht vorstellen, überhaupt nicht.
Tretyak hatte mehr als hundert Leute beauftragt, für seine Sicherheit zu sorgen, alles Top-Leute. Seine Frau konnte keinen Schritt mehr machen ohne Sicherheitsmann. In der Schule seiner Kinder hatten Spezialisten ihre Plätze bezogen. Seiner Frau hatte er erzählt, dass eine Morddrohung gegen ihn vorlag. Von allem anderen wusste sie nichts, natürlich nicht. Seine Frau hatte ihn gefragt, ob er nicht auch die Polizei einschalten wollte.
Polizei? Er trank einen Schluck Tee und musste schmunzeln. Polizei. Da setzte er lieber auf seine Leute. Und außerdem war er gespannt, was sich Tretjak einfallen ließ. Der andere, der mit J. Bis jetzt hatte er nichts von ihm gehört. Aber das bedeutete bei dem Mann gar nichts, so viel stand fest.
3
Ampere
»Ich weiß, dass Sie nicht an Gott glauben. Nicht an den Himmel, nicht an irgendein Jenseits. Aber finden Sie nicht, dass Menschen für das, was sie in ihrem Leben getan haben, Rechenschaft ablegen sollten? Wenn schon nicht vorm Jüngsten Gericht, dann vielleicht – vor mir?«
»Wer sind Sie?«, fragte Gabriel Tretjak in den dunklen Raum hinein. »Wer bist du?«
»Bleiben wir bei Ihnen, Herr Tretjak. Sie werden sterben, und Sie sollten wissen,
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