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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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wahrscheinlich nie wieder in seinem Leben in eine derartige Situation geraten. Auch jetzt noch, Tage später, die er fast ausschließlich in seinem Apartment auf dem Schlafsofa von Ikea verbracht hatte, lief der Film wieder und wieder ab. Der Moment, in dem er erkannt hatte, dass der Mann mit der Pistole mit einem Bein hinter der offenen Tür des Triumph Spitfire stand, der Moment, in dem Kanu-Ide mit seinem Fuß diese Tür zuschlug. Wie ein Schuss hatte sich das Geräusch im Wald angehört, er musste so ungeheuer fest zugetreten haben, vermutlich hatte er dem Mann den Unterschenkel oder das Knie gebrochen. Jedenfalls hatte der alles fallen gelassen, Pistole, Handy, und einen dumpfen Laut ausgestoßen, den Kanu-Ide nun immer wieder wie ein Echo in seinem Kopf hörte.
    Irgendetwas in ihm hatte in diesen Sekunden die Regie übernommen. Etwas, das keine Angst hatte, etwas, das große Kraft hatte, etwas, das blitzschnell war. Seine Beine rannten schon, bevor er überhaupt begriffen hatte, dass er die Chance dazu hatte. Aber was hieß rannte: Er flog durch den Wald, steil bergab, durchschnitt das Unterholz, sprang über Hindernisse, rutschte, kam auf die Beine … dieses Etwas wusste genau, was zu tun war.

    Heute war der erste Tag, an dem er seinen zerschundenen Körper wieder halbwegs bewegen konnte. Bei der Polizei gab es jetzt eine Akte, mehr wohl nicht, im Wald hatte sich ein Beamter die Reifenspuren angesehen, und gestern hatte Kanu-Ide Bescheid bekommen, dass er den Triumph auf dem Revier abholen konnte. Von Tretjak und Welterlin hatte er nichts erzählt. Er hatte sich wenigstens halbwegs an die Anweisung halten wollen. Diesen Tretjak hatte er ungefähr stündlich versucht zu erreichen. Er wünschte sich, dass bei seiner nächsten Begegnung mit diesem Mann wieder dieses Etwas in ihm die Regie übernehmen und dafür sorgen würde, dass er zuschlug.
    Amy fand, dass seine kleine Wohnung immer noch zu sehr einer Studentenbude glich. Sie fand, er sollte sich eine neue suchen. Seinen Vorschlag, sie sollte ihre WG aufgeben und mit ihm zusammenziehen, hatte sie allerdings abgelehnt. Kanu-Ides Wohnung befand sich in einem Apartmenthaus der siebziger Jahre, grade Linien, viel Beton, inzwischen etwas abgeschrabbelt. Es war fast zehn Uhr abends, als er sich Teewasser aufsetzte, die Earl-Grey-Dose aus dem kleinen Küchenschrank holte, die Milch dazustellte und die Flasche Havanna-Club aufschraubte. Er würde den Tee lange ziehen lassen und am Rum nicht sparen. Die Wohnungstür hatte er von innen zweimal abgeschlossen. So plante er, in die Nacht zu gleiten. Vielleicht würde er den Fernseher einschalten, irgendeine Spielshow, die ihn nicht interessierte. Nichts ließ ihn so müde werden wie der laufende Fernseher.

    Als es an der Wohnungstür klopfte, verstand er zunächst gar nicht, was das für ein Geräusch war. Dann fiel ihm ein, dass die Klingel kaputt war. Dann kam die Angst. Auf Zehenspitzen schlich er in die kleine Diele, blieb hinter der Wohnungstür stehen und lauschte.
    Wieder klopfte es, fest und entschieden. Und jetzt sagte eine männliche Stimme: »Herr Kanu-Ide? Sind Sie zu Hause? Bitte machen Sie auf, es ist wichtig.« Der Mann sprach Deutsch, mit einem Akzent, der nach Bayern oder Österreich klang.
    Kanu-Ide sagte kein Wort.
    »Mein Name ist Lichtinger. Ich muss Sie sprechen. Es geht um Gabriel Tretjak. Ich weiß, dass Sie ihn erreichen wollen. Es ist wirklich wichtig.«
    Kanu-Ide sagte nichts. Und dabei blieb es auch. Selbst als der Wasserkocher sehr vernehmlich anfing zu rauschen und schließlich laut vor sich hin blubberte. Er sagte nichts, bis der Mann vor der Tür seine Versuche aufgab. Und Kanu-Ide wusste genau, dass es richtig war, was er tat. Ganz genau. Denn der Mann hatte etwas gesagt, was er kannte, ein Wort, das ihm bei den Recherchen im Netzwerk der Organisation »Anima« immer wieder untergekommen war. Das Wort »Lichtinger«.

    Joseph Lichtinger, Pfarrer in Bayern, war eine der Schlüsselfiguren dieser Organisation, die gegen Welterlins Projekt »Casimir« arbeitete.

13
    Die Stimme
    Stefan Treysa hatte sich ein bisschen verlaufen in den Straßen von Amsterdam. Eine hübsche Stadt, wirklich, dachte er, aber immer wieder eine kleine Brücke über diese Grachten, immer wieder diese netten Häuschen, und alles sieht doch ein wenig gleich aus. War man da gerade schon mal gewesen, oder sah es nur so aus? Doch irgendwann stand er vor der Tür. Eine edle Holztür, Palisander, goldenes Klingelschild,

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