Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)
hatten ihn an den Händen getroffen. Dahinter stand ein Mann mit einem Revolver. Maler sah Inge an, sah Max an und wartete auf den nächsten Schuss. Es war sicher der bis dahin schrecklichste Moment in seinem Leben. »Schießen Sie nicht auf das Kind. Schießen Sie auf mich«, sagte Maler.
»Herr Kommissar«, sagte der Mann mit dem Revolver, »alles in Ordnung, alles vorbei.« Er deutete auf den Paketboten. Und erst jetzt sah Maler den anderen Revolver, der am Boden lag. Die Waffe war dem Boten aus der Hand geschossen worden.
Inge nahm Max in den Arm und ging mit ihm ins Wohnzimmer. Inge weinte, Max war ganz ruhig, ganz still.
»Wer sind Sie?«, fragte Maler den Mann, der jetzt seine Waffe wegsteckte. Er spürte, dass seine Knie kurz davor waren, nachzugeben.
»Ich bin eine Art Detektiv, sagen wir es mal so. Gabriel Tretjak hat mich engagiert, ich sollte auf Sie aufpassen. Das war mein Auftrag.«
»Und wer ist dieser Typ?«, fragte Maler.
»Jedenfalls kein Paketbote. Olaf Spahr heißt er. Er ist ein Auftragskiller, macht das seit Jahren, war seit Tagen an Ihnen dran. Und ich immer dahinter. Als er plötzlich in der Botenverkleidung auftauchte, wusste ich, jetzt wird es ernst.«
»Wollen Sie damit sagen, dass ich nicht mitbekommen habe, dass mir zwei Leute auf Schritt und Tritt gefolgt sind?«
Der Mann zuckte mit den Achseln. Er gehörte offensichtlich zu denen, die nicht allzu viel von den Fähigkeiten der Polizei hielten.
»Ich muss mich bei Ihnen bedanken, glaube ich. Wir wären alle tot, wahrscheinlich, ich auf jeden Fall.«
»Gern geschehen. War mein Job.«
»Woher kennen Sie Tretjak?«, fragte Maler.
»Wir kennen uns lange. Ich habe ihm viel zu verdanken, sagen wir es so. Es ist mir eine Ehre, für ihn zu arbeiten. Er hat gesagt, Sie sind ein guter Mann, Herr Kommissar.«
In den nächsten Stunden kamen immer neue Polizisten in die Wohnung, der verletzte Killer wurde abtransportiert, der tätowierte Mann folgte den Beamten ins Präsidium. Ein Psychologe sprach kurz mit Inge, auch mit Max, auch mit dem anderen Sohn. Und dann spielten sie tatsächlich noch das Tipp-Kick-Turnier zu Ende. Der Psychologe hatte gesagt, für die Kinder sei in den nächsten Tagen vor allem Normalität wichtig. Irgendwann nahm Maler Inge in den Arm, in einem kurzen Moment. Sie sagten nichts. Sie küssten sich.
Es war schon am späteren Abend, die Kinder schliefen im Schlafzimmer bei Inge, Maler saß im Wohnzimmer vor seinem Computer. Sein Herz hämmerte. Er versuchte, in seinem Kopf die Dinge zu ordnen. Erstens, zweitens, drittens. Erstens, es war vor allem erstens: Er musste Gabriel Tretjak dankbar sein. Und Maler hatte einen Fehler gemacht: Es war falsch gewesen, Tretjak zu misstrauen, in diesem Fall zumindest war es falsch gewesen. Tretjaks Codewort nicht weiterzuleiten war unverantwortlich, dachte Maler.
Aber jetzt schickte er dieses Codewort los, an die genannte Mailadresse. Hoffentlich war es noch nicht zu spät.
Sein Handy summte. Bendlin war dran. Die Waffe des Paketboten, des Killers, war dieselbe Waffe, mit der Rainer Gritz erschossen worden war.
5
Der Code
Ehud Mandelbaums Leben in Tel Aviv spielte sich eigentlich an nur drei Orten ab. Erstens vor dem Rechner am Schreibtisch in seiner Wohnung, zweitens an den Geräten des Fitnesscenters »Holy Moses« im 15. Stock eines Hochhauses und drittens in der Bar »Elaine« direkt am Strand. Von seinem Rechner aus hackte er sich in die Tiefen des digitalen Kosmos. Er tat das schon längst nicht mehr nur zu seinem Vergnügen, sondern auch für Auftraggeber. Solche, die sehr viel Geld dafür bezahlten, zum Beispiel große Banken und Konzerne, und solche, die gar nichts bezahlten, wie die Organisation Attac. Im »Holy Moses« formte er seine Figur, die immer mehr den Zeichnungen aus Comics glich, Marke Superheld. Und in der Bar »Elaine« nahm er Drogen, tanzte zu Elektro-Underground und pflückte gelegentlich eine der schönen Blumen, die im Tel Aviver Nachtleben im Überfluss heranwuchsen. Was seinen Draht ins Internet betraf, spielte es keine Rolle, wo er sich aufhielt. Ehud Mandelbaum hatte sein iPhone derart aufgerüstet, dass es, wie er sagte, fast alles konnte, »nur nicht zum Einkaufen gehen«.
Die SMS-Benachrichtigung über die Mail des Kommissars aus München erreichte ihn im »Holy Moses«, während er seine Sit-ups machte. Ehud Mandelbaums Sit-ups waren keine gewöhnlichen Übungen, bei denen man im Liegen den Oberkörper hob. Der Hacker hing in einer
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