Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)
stellte schon nach wenigen Minuten fest, dass dies nicht die Leiche von Senne war. Ein paar Stunden später stand ihre Identität fest: Es war eine Leiche aus den Beständen des gerichtsmedizinischen Instituts, vorgesehen für studentische Anatomieübungen.
Kollege Harry Mutt hatte den Auftrag bekommen, die angebliche Witwe von Senne zu kontaktieren. Er hatte seinen Besuch am Telefon angekündigt, es gehe noch einmal um ihren Mann. Sie hatte einen äußerst verwirrten Eindruck gemacht, hatte angefangen zu weinen, ihn bedrängt, er solle ihr Genaueres sagen. Es war ein Fehler, dass Mutt es ihr sagte: »Frau Senne, wir gehen davon aus, dass ihr Mann noch lebt.« Danach war das Gespräch abgebrochen. Als Mutt in Oberhaselbach eintraf, fand er sie in ihrer Küche. Annabel Senne hatte sich an der Küchendecke erhängt.
Es war kurz vor 16 Uhr, als die beiden Kinder von Inge und August Maler das Tipp-Kick im Wohnzimmer aufbauten. Sie breiteten den grünen Filz aus, der das Spielfeld darstellte, sie steckten die Tore in die Furchen am Holzrand, bauten die Spieler auf. Es war schon beachtlich, mit welchem Geschrei die beiden Söhne dies begleiteten. August Maler liebte diesen Geräuschpegel, es war für ihn Leben pur. Zukunft, auch.
Es war ebenfalls kurz vor 16 Uhr, als unten vor dem Haus ein blauer Golf einparkte. Beim Drehen des Lenkrads, beim Bewegen der Hände wirkten die kleinen schwarzen Drachen an den Fingerknöcheln, als wären sie Teil eines einstudierten Tanzes. Dem Fahrer war wichtig, vom Parkplatz den Eingangsbereich des Mietshauses überblicken zu können. Er öffnete das Handschuhfach, nahm den Revolver und schraubte den Schalldämpfer an. Daneben lag noch die Tüte mit den Körnern fürs Taubenfüttern. Er versicherte sich noch kurz, sein Springmesser gleich über der Gesäßtasche zu spüren. Dann stieg er aus dem Auto. Er hatte sich dieses Mal dafür entschieden, keine Handschuhe zu tragen.
Malers Handy summte. Bendlin war dran. Die Fahndung nach Christian Senne hatte immer noch nichts ergeben. Aber Neues gab es zu berichten im Fall von Lars Matthiessen, dem Arzt in Straubing, der Senne angeblich behandelt und den Totenschein ausgestellt hatte. Matthiessen war dieses Jahr nie in dem afrikanischen Krankenhaus erschienen, er war verschwunden. »Es liegt ein internationaler Haftbefehl gegen ihn vor. Er ist in eine ganz üble Sache verstrickt, es geht um Morde, Drogen, Geldwäsche«, sagte Bendlin.
»Super«, sagte Maler, »und ich dachte, als wir in dem Café saßen, das ist mal ein echter Wohltäter.«
»Wir sind alle nur Menschen, August«, sagte Bendlin. Ein öder, blöder Satz, den Bendlin ungefähr zehnmal am Tag von sich gab, in Lebenslagen jeglicher Art.
»Wir bleiben in Kontakt«, sagte Maler und beendete das Gespräch. Und rief seinen Jungs zu: »Ich komme.«
Sie hatten ein kleines Turnier vereinbart. Jeder spielte gegen jeden, Hin- und Rückspiel. Jedes Spiel dauerte fünf Minuten. Am Ende wurden Punkte und Tore zusammengezählt, wie beim richtigen Fußball. Danach würden alle zur Pommesbude gehen, der Sieger bekam eine doppelte Portion.
Es war exakt 16 Uhr 11, als ein kleiner gelber Lieferwagen vor dem Haus hielt. Ein Paketbote stieg aus, holte ein braunes Päckchen aus dem Laderaum, überquerte die Straße und läutete bei Maler.
Inge ging an die Sprechanlage. »Ja?«
»Ich habe ein Päckchen für Sie.«
»Ah ja, gut, kommen Sie bitte hoch.« Sie hatte vorgestern bei Amazon zwei Sportjacken für die Jungs bestellt. Eigentlich hatte sie schon am Vormittag mit der Lieferung gerechnet.
Als der Paketbote die Tür des Mietshauses öffnete, schenkte er der Tatsache keine größere Aufmerksamkeit, dass direkt hinter ihm ein zweiter Mann hereinschlüpfte, der Mann mit den tätowierten Fingern.
Im Wohnzimmer gab es in der Tipp-Kick-Arena vorübergehende Hektik. Max, der kleinere von beiden Jungs, hatte neuerdings die Eigenart, immer die Tür öffnen zu wollen, wenn es läutete. Und zwar allein. Wenn dies nicht nach seinem Willen geschah, fing er sofort an zu weinen und war kaum zu beruhigen. Also gab es eine kurze Spielpause. Der Paketbote läutete noch einmal kurz an der Wohnungstür, und Max öffnete die Tür.
Maler hörte die Schüsse im Wohnzimmer, zwei Schüsse, Schalldämpferschüsse. Und dann die Schreie. Auch Inges Schreie, die zur Tür gelaufen war. Als Maler in den Vorraum stürmte, sah er seine Frau, sah er Max und sah er den Paketboten schreiend am Boden liegen, die Kugeln
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