Die Stunde des Schakals (German Edition)
Tür drehte er sich noch einmal um. «Übrigens, Leihen heißt, dass man es auch wieder zurückbekommt.»
Melvin sagte nichts, als er in die Arrestzelle zurückgeführt wurde, doch er wirkte so verloren, dass Clemencia versprach, zum Haftprüfungstermin zu kommen. Das Gespräch mit Fourie musste sie eben verschieben. Sie erreichte den Ex-Richter telefonisch nicht, hinterließ aber auf seiner Mailbox eine Nachricht.
Auf dem Weg ins Präsidium schaute Clemencia bei ihrer Familie vorbei. Auf dem Verkaufstisch vor dem Haus waren Tomaten, Zwiebeln und Papayas säuberlich aufgereiht. Dahinter lagen kleine Packungen Kartoffelchips. Der Rest aus einem ganzen Karton, den Melvin vor ein paar Wochen angeschleppt hatte. Der Karton wäre von einem Lastwagen gefallen, hatte er behauptet. Miki Selma rückte ihren Schemel gerade dem spärlichen Schatten nach, den die über dem Tisch aufgespannte Plane warf. Constancia war in Klein Windhoek bei der Arbeit, und ihre Kinder waren irgendwo unterwegs, doch Miki Selma wollte sie sofort suchen. Dabei würde sie auch gleich bei den Nachbarn für Melvins Kaution sammeln. Clemencias Vater musste sich solange an den Gemüsestand setzen.
Clemencia fuhr los. Die Nachbarschaft sah aus wie immer. Nichts deutete darauf hin, dass hier kleine Mädchen zweihundert Dollar wert waren, Polizisten Flohpulver klauten und man nicht einmal einen Verkaufsstand mit ein paar Tomaten einen Moment unbeaufsichtigt lassen konnte. Überall spielten Kinder auf der Straße, als ob das ganz normal wäre. Jessica und Timothy waren nirgends zu entdecken. Das hatte nichts zu bedeuten, gar nichts. Man durfte sich nicht verrückt machen. An der roten Ampel vor der Independence Avenue schloss Clemencia kurz die Augen. Vergeblich versuchte sie den Kopf klar zu kriegen.
Erst im Büro der Serious Crime Unit holte die große Welt, in der mit Kalaschnikows gemordet wurde, sie wieder ein. Auf ihrem Schreibtisch fand Clemencia die aktuelle Ausgabe des Namibian mit der Schlagzeile «Späte Rache für Lubowski?» vor. Daneben lag der Bericht der Scenes of Crime Unit. Er bestätigte, dass van Zyl und Maree mit derselben Waffe erschossen worden waren. Beim Abfackeln des Corolla hatte der Täter mit Benzin nachgeholfen. Fingerabdrücke oder anderes Spurenmaterial waren nicht sichergestellt worden. Es blieb also nur der Weg, den sie sowieso schon eingeschlagen hatten. Der über die Mordopfer. Wer hatte gewusst, dass Chappies Maree nach Windhoek einfliegen würde? Was hatte der ehemalige Agent vorher in Deutschland zu erledigen gehabt? Und warum wollte er van Zyl treffen? Hatten gar die restlichen Mitglieder der Gruppe, soweit sie nicht im Gefängnis saßen, ebenfalls dazustoßen sollen? Man musste dringend Staal Burger in Südafrika ausfindig machen. Vielleicht würde der auspacken, wenn man ihm klarmachte, dass sein Leben auf dem Spiel stand.
Bei der Dienstbesprechung erklärte Oshivelo Clemencias Ansatz für absolut richtig und regte an, alle verfügbaren Kräfte zur Klärung dieser und weiterführender Fragen einzusetzen. Das Studium der alten Lubowski-Akten könne zurückstehen. Ein zwanzig Jahre zurückliegender Mord gebe seiner Erfahrung nach kein brauchbares Motiv ab. Stattdessen solle man sich auf die jüngere Vergangenheit der Mordopfer konzentrieren. Er, Oshivelo, könne sich schwer vorstellen, dass Männer mit solch einer kriminellen Vorgeschichte auf einmal zu gesetzestreuen Bürgern mutiert wären, nur weil sich die politische Lage geändert hatte. Man müsse prüfen, ob die Ex-Agenten-Bande später auf eigene Rechnung krumme Geschäfte gemacht habe.
«Waffenschmuggel, Diamanten, Drogen», schlug Robinson vor. «Die alten Verbindungen konnten dabei nicht schaden.»
Vielleicht sei es da um viel Geld gegangen, das irgendeiner nicht mit den anderen teilen wollte.
«Staal Burger? Donald Acheson? Oder dieser Donkerkop?», fragte Robinson.
«Oder ein Geschäftspartner, der sich übers Ohr gehauen fühlte», sagte Oshivelo.
Clemencia sagte nichts, hörte zu, wie Robinson Hypothese auf Hypothese häufte, wie Oshivelo konsequent die Bahnen vorzeichnete, in denen die Ermittlungen laufen sollten. Wort für Wort verflüchtigte sich dabei der politische Hintergrund, von dem sie ausgegangen waren. Satz für Satz erschien unwahrscheinlicher, dass Rache für ein längst in den Geschichtsbüchern abgelegtes Attentat ein ernstzunehmendes Motiv sein könnte, und selbst Anton Lubowskis Foto, das Clemencia aus der Akte entnommen hatte,
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