Die Stunde des Schakals (German Edition)
menschenverachtende Ideologie unbedingt nötig gewesen war. Davon war Clemencia fest überzeugt. Ihr machte nur zu schaffen, dass Oshivelo die Lubowski-Spur so herunterspielte. Er hatte im Unabhängigkeitskampf eine bedeutende Rolle gespielt und zu den Parteikadern gehört, die hinter die Kulissen blicken konnten. Der Mord an Lubowski war eine Riesensache gewesen. Oshivelo musste wissen, was damals gelaufen war. Er konnte nicht einfach so tun, als höre er die Namen der CCB-Agenten zum ersten Mal. Und wenn er es doch tat, dann gab es einen Grund dafür.
«Du bleibst dran, Angula», sagte Clemencia, «und wenn du etwas findest, kein Wort zu irgendwem außer mir!»
«Das kann eine heiße Sache werden, Chefin», sagte Angula.
Irgendeine schlagfertige Antwort wäre jetzt angebracht gewesen. Dass einem in diesem verdammten Büro eh schon der Schweiß herunterlaufe. Dass die Regenzeit ja Gott sei Dank bevorstehe. Dass sich nur die Finger verbrenne, wer zu hastig zugreife. Dass … Clemencia sagte: «Gut möglich, Angula.»
Als sie endlich aufbrach, war es natürlich viel zu spät. Im Gericht war keine Spur von Melvin zu entdecken. Anwalt von Fleckenstein war da, boxte aber gerade einen anderen Delinquenten frei. Als er fertig war, steckte er Clemencia seine Karte zu und flüsterte: «Sie schulden mir zweihundertfünfzig Dollar!»
Clemencia fuhr nach Katutura zurück. Ihr Vater saß auf der Bank vor dem Haus. Jessica und Timothy hingen an ihm und bettelten vergeblich darum, dass er ihnen eine Geschichte von früher erzählen solle. Miki Selma erklärte stolz, dass sie dreiundvierzig Dollar und fünfundzwanzig Cent für die Kaution gesammelt habe.
«Wo ist Melvin?», fragte Clemencia.
Miki Selma deutete mit dem Daumen die Straße hinab. In Richtung der Mshasho Bar, aus der laute Kwaito-Musik das ganze Viertel beschallte.
«Er feiert, dass er wieder frei ist», sagte Miki Selma.
Ex-Richter Hendrik Fourie:
Dass ich Donald Acheson 1990 auf Kaution freigelassen habe, war wahrscheinlich der größte Fehler, den ich in meiner beruflichen Laufbahn begangen habe. Aber aufgrund der mir damals vorliegenden Fakten hatte ich kaum eine andere Wahl. Ich wusste ja nicht, dass unsere eigenen Behörden – Staatsanwaltschaft wie Polizei – die Strafverfolgung in einer Weise verschluderten, die an Sabotage grenzte. Zuerst hielt ich es nur für Schlafmützigkeit, dass der Staatsanwalt wieder und wieder um Aufschub für die Prozesseröffnung gegen Acheson bat. Ich genehmigte das einmal, zweimal, aber beim dritten Antrag riss mir die Geduld. Die sollten endlich zu Potte kommen! Ich setzte den Zeitpunkt fest, bis zu dem die Anklageschrift vorliegen musste.
Ich fiel aus allen Wolken, als der Staatsanwalt daraufhin die Anklage mit der Begründung zurückzog, man habe nicht genügend Beweise gegen Acheson gefunden. Das ganze Ausmaß des Desasters erkannte ich aber erst Jahre später, als in der Presse Anschuldigungen laut wurden, dass hohe Polizeioffiziere in den Mord an Lubowski verwickelt gewesen seien. Die fällige gerichtliche Voruntersuchung leitete ich, und da wurde mir beim eingehenden Studium der Akten klar, dass die Beweise nicht nur gegen Acheson, sondern auch gegen den Rest der CCB-Gruppe problemlos für eine Anklageerhebung und meinem Dafürhalten nach ebenso für eine Verurteilung gereicht hätten. Dass ich damals mit Bezug auf die Staatsanwaltschaft von einem «Gipfel der Inkompetenz» gesprochen habe, ist mir verschiedentlich angekreidet worden. Dabei ist diese Wortwahl in Anbetracht der Umstände äußerst zahm gewesen.
Jedenfalls brachte ich alles an die Öffentlichkeit. Ich nannte in meinem Abschlussbericht Ross und Reiter, stellte unmissverständlich klar, dass niemand anderer als Acheson geschossen hatte, dass van Zyl, Maree, Burger und Konsorten als Komplizen aktiv beteiligt waren, dass die Auftraggeber in der CCB-Zentrale in Pretoria gesessen hatten. Ich schloss meine Überlegungen zum politischen Ziel des Mordes an und entlarvte Malans Lügen bei seinem berüchtigten Parlamentsauftritt genauso wie ein paar andere Ablenkungsmanöver, die von verschiedenen Seiten inszeniert worden waren. Einem unserer Police Officer konnte ich nachweisen, dass er wichtige Hinweise zum Mord an Lubowski unterschlagen hatte.
Kurz, ich hielt ihnen den Fall fertig vor die Nase, sodass sie gar nicht anders konnten, als ihn wiederaufzunehmen. Dachte ich. Doch sie konnten sehr wohl. Nachdem die erste Aufregung abgeklungen war,
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