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Die Stunde des Spielers

Die Stunde des Spielers

Titel: Die Stunde des Spielers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Vaughn
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können.«
    »Ben wollte bloß helfen, die Bösewichte zu fangen.«
    Gladden sagte: »Ich muss Ihnen wohl nicht sagen, dass Sie mich benachrichtigen, falls er sich mit Ihnen in Verbindung setzt, falls Sie irgendetwas hören?«
    »Natürlich.« Ich legte auf. Lange starrte ich mein Handy an. Ich vergaß sogar, dass Grant immer noch im Türrahmen lehnte.
    »Wenn er auch nur annähernd so ist wie Sie, dann geht es ihm bestimmt gut«, sagte er.
    Ich lachte leise vor mich hin. »Er ist besser als ich.« Und ich hatte keine Ahnung, wo er war. Ich stand wieder ganz am Anfang.
    »Ich fahre Sie zu Ihrem Hotel zurück, nachdem Sie sich angezogen haben«, sagte er und schloss dann leise die Tür.
    Er hatte mir eines seiner Frackhemden als Ersatz für das zerfetzte Oberteil herausgelegt. Ich betrachtete mich im Spiegel. Ich sah furchtbar aus: Meine Haare waren ein zerzaustes Nest, das Hemd war zu groß, hing über die Jeans und rutschte mir immer wieder von der Schulter, ich war barfuß, mein Gesicht war blass, meine Augen gerötet. Ich sah wie eine Frau aus, die ihren Verlobten in Vegas verloren hatte.
    Und was für einen Wagen fuhr ein Typ wie Odysseus Grant? Ein Durchschnittsauto: eine weiße viertürige alte Limousine. Ein Auto, das einem niemals auffallen würde.
    Der Himmel war immer noch dunkel, es war immer noch Nacht. Ich hatte es noch nicht einmal bis zur Morgendämmerung geschafft, obwohl es mir vorkam, als wäre eine Woche vergangen. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Vegas fühlte die Luft sich kühl an. Beinahe angenehm. Das würde aufhören, sobald die Sonne aufging, wahrscheinlich in etwa einer Stunde.
    Auf der Fahrt zerbrach ich mir den Kopf darüber, wie ich Grant bitten könnte, mit mir zu Balthasars Bühne zurückzukehren. Ich wollte mir den Ort noch einmal ansehen. Mich vergewissern, dass er echt war, dass ich es mir nicht bloß eingebildet hatte. Vielleicht herausfinden, wer die Frau war, und was dort wirklich vor sich gegangen war. Es war alles unklar.
    »Darf ich Ihnen eine Frage stellen? Die Lykanthropen, Balthasars Rudel. Die Frau mit dem Messer und der Altar. Sie haben Tiamat gesungen. Was bedeutet das?«
    »Tiamat ist im alten Mesopotamien verehrt worden. Nach der Mythologie war sie eine der ursprünglichen Gottheiten, die an der Erschaffung der Welt beteiligt waren. Doch wie es so oft in diesen Geschichten passiert, haben die Kinder sich erhoben und ihre Eltern vernichtet. Sie haben Tiamat umgebracht, und aus ihrem Körper erschufen sie Himmel und Erde. Laut der wahren Gläubigen sind wir alle ein Teil von Tiamat, und sie muss besänftigt werden, wenn wir wollen, dass das Leben so weitergeht wie bisher. Die Geschichten besagen, dass sie eine Dämonenbande hatte. Tiamats Schar hieß sie und verteidigte Tiamat in der letzten Schlacht gegen Marduk.«
    »Also hat Balthasar Tiamats Schar neu gegründet.«
    »Oder die Priesterin hat sie angeworben, um sie neu zu gründen, damit sie ihrer eigenen Sekte vorstehen konnte, ganz im Verborgenen, wo es niemandem auffiele.«
    »Außer Ihnen. Sie haben Sie die ganze Zeit über im Auge behalten.«
    »Ja.«
    »Aber ... was bedeutet das alles?«
    »Tiamat ist eine Göttin des Chaos.«
    »Ist? Ich dachte, sie ist gestorben. Ihr Körper ist Himmel und Erde.«
    »Diese Geschichten sind Metaphern. Das wissen Sie doch, nicht wahr?«
    »Ich habe Englisch studiert. Mit Metaphern kenne ich mich aus. Aber was hat eine viertausend Jahre alte Metapher mit einem unheimlichen Retro-Kult im modernen Las Vegas zu tun?«
    Er bedachte mich wieder einmal mit einem »Das ist eine törichte Frage«-Blick. Mit grimmiger Miene beobachtete er den Verkehr, der auf dem Strip entlangglitt. Selbst um diese Uhrzeit war einiges los.
    »Chaos ist überall«, sagte er. »Es würde uns alle verschlingen, wenn es könnte.«
    Wir fuhren auf unserem Weg zum Olympus am Hanging Gardens vorbei. Streifenwagen, vier oder fünf, mit Blaulicht, versperrten fast den ganzen Eingang. Zweifellos ging die Polizei den Schüssen im Theater nach. Ich empfand Mitleid mit dem Cop, der diesen Bericht verfassen musste.
    Wir bogen in die Auffahrt vor dem Eingang des Olympus. Ich machte die Tür auf und wollte mich schon bei Grant bedanken, als er sagte: »Ich habe dort keine Spur von Ihrem Freund entdecken können. Aber ich bin mir
    sicher, dass es ihm gutgeht.«
    Ich starrte meine Hände an. Meine bloßen Hände. »Ich habe meinen Ring verloren. Wohl als ich mich verwandelt habe. Er ist wahrscheinlich immer noch bei

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