Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde des Spielers

Die Stunde des Spielers

Titel: Die Stunde des Spielers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Vaughn
Vom Netzwerk:
Muster, Reliefbilder, die sich im flackernden Licht der Flammen zu bewegen schienen. Sie waren wie Bilder aus Balthasars Suite: Reihen von Ochsen mit Menschenköpfen, einherstolzierende Löwen, Vogelmenschen sowie namenlose Dämonen, doch sie waren vielschichtiger, bedrohlicher.
    Die Männer schleppten mich zur Vorderseite der Zikkurat, zu den beiden Steinsäulen, an denen Balthasar in der Show festgekettet wurde. Doch das war eine Show, und das hier war echt, aufgeführt in einem leeren Theater allein für die Truppe. Die Dekorationen in ihrer Suite und auf der Bühne hatten ebenfalls nichts mit Show zu tun, mit Geschmack oder Design. Sie waren echt. Dieser ganze Ort war ein babylonischer Tempel. Direkt aus der Hölle.
    Sie befestigten je eine Kette an einer Säule, so dass meine Arme weit gespreizt waren. Ich warf mich wie ein Kaninchen in einer Schlinge gegen die Fesseln. Mein Blut brodelte.
    Die Frau aus der Show, die exotische, halbbekleidete Peinigerin stand nicht weit entfernt. Aus dieser Nähe konnte ich sie riechen. Trotz Balthasars ganzer Truppe, die sich wie zu einem Ritual in einem Kreis um uns versammelt hatte, trotz der brennenden Fackeln und des Aromas meiner eigenen Angst, roch ich ihre Kälte. Das Tote an ihr.
    Sie war ein Vampir.
    Diesmal trug sie ein ungefärbtes Leinengewand, eine einfache, gerade geschnittene Tunika, die an den Säumen mit weiteren babylonischen Bildern und Symbolen verziert war, mit einem Strick als Gürtel. Die Frau hatte lange schwarze Haare und honigfarbene Haut. Sie schien die Augen nach hinten verdreht zu haben. Mit ausgebreiteten Armen stand sie da, und in ihrer linken Hand befand sich ein langer, scharf aussehender Dolch.
    Das gefiel mir gar nicht.
    In meinem Innern geriet die Wölfin in Panik, warf sich gegen die Gitterstäbe eines imaginären Käfigs, der sie in mir gefangen hielt, jedoch im Begriff stand, sich aufzulösen. Mein Herz schlug wild, meine Haut kribbelte, kurz davor, sich zu dehnen, aufzubrechen und sie hinauszulassen.
    Ich erblickte Balthasar, der vor mich trat und gelassen die Aufsicht über das Geschehen führte. Ich nickte in Richtung der Frau, die sich noch nicht dazu herabgelassen hatte, mich anzusehen. »Wer zum Teufel ist das?«,
    »Sie ist hier die wahre Gebieterin. Sie kommuniziert mit der alten Göttin - der ältesten Göttin, aus deren Gebeinen die Welt entstanden ist. Ihr dienen wir. Wir sind ihre Schar, wie sie eine in den Tagen vor der Zeit hatte. Tiamat!« Balthasar endete mit einem Ruf, und die anderen griffen das Wort auf und setzten zu einem Singsang an.
    »Tiamat! Tiamat! Tiamat!«
    Sie wollten mich wohl auf den Arm nehmen.
    Er trat auf mich zu und packte mich fest am Kinn. Knurrend fletschte ich die Zähne. »Los, mach schon, verwandele dich. Du musst dich für uns verwandeln«, sagte er.
    »Warum?«
    »Das Opfer muss ein Wesen sein, dass weder Mensch noch Tier ist. Ein Wesen in der Mitte. Ein Lykanthrop.«
    » Opfer?« Und weil sie alle Katzen waren, zogen sie es vor, Wölfe aufs Schafott zu schicken. Deshalb gab es keine Werwölfe in Las Vegas.
    Der Vampir, die Priesterin von Tiamat, trat vor mich und hob den Dolch empor, der direkt auf meine Brust gerichtet war.
    Wenn Balthasar Recht hatte, konnten sie mich nicht umbringen, wenn ich mich nicht verwandelte. Sie waren darauf angewiesen, dass ich Wolf war. Also würde ich einfach Mensch bleiben. Doch zu spät, ich hatte bereits die Kontrolle verloren. Ich stieß einen Schrei aus, der eher nach einem verängstigten wölfischen Knurren klang. Es geschah. An meinem ganzen Körper bildete sich eine Gänsehaut, überall wuchs mir Fell. Meine Hände wurden dicker, die Nägel verwandelten sich in Krallen. All meine Knochen schmolzen.
    Balthasar riss mein T-Shirt auf, zerfetzte den Stoff. Ich setzte mich verbissen zur Wehr, doch mein Gesicht, meine Schreie gehörten nicht länger mir. Ich hatte meine Schuhe verloren. Meine krallenbewehrten Füße traten nach ihm, trafen Fleisch, rissen es auf. Auf seinen Oberschenkeln bildeten sich rote Striemen. Er stieß ein katzenartiges Fauchen aus und schlug mir ins Gesicht. Ich bemerkte es kaum.
    Ich hatte nur Augen für das Messer, das auf meine Brust gerichtet war. Es war aus Silber. Wenn eine Silberwaffe -  Kugel, Messer, was auch immer - einen Lykanthropen verletzte, war es nicht die Wunde, die ihn umbrachte. Er starb an einer Silbervergiftung. Wenn dieses Messer meine Haut durchschnitt, würde ich sterben.
    Dann hörte ich etwas Verblüffendes.

Weitere Kostenlose Bücher