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Die Stunde des Spielers

Die Stunde des Spielers

Titel: Die Stunde des Spielers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Vaughn
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Verzierungen geschmückt waren. Wandleuchter verbreiteten warmes goldenes Licht. Das Einzige in der Richtung, das ich jemals gesehen hatte, war ein erlesenes marokkanisches Restaurant gewesen.
    Die Suite musste von denselben Leuten entworfen worden sein, die für das gesamte Hotel verantwortlich waren. Wandgemälde bedeckten die Wände, derart detaillierte Strichzeichnungen, dass ich das Ganze zuerst für
    bedruckte Tapete hielt. Aber man hatte sie in dunklen Linien auf beigefarbenen Hintergrund gezeichnet, so dass sie beinahe wie in Stein gemeißelt aussahen. Feierliche Prozessionen zogen zu beiden Seiten an mir vorbei: Männer und Frauen, in Lebensgröße, hintereinander, den Blick unverwandt nach vorn gerichtet, mit zusammengeballten Fäusten. Die Motive wirkten uralt. Die Figuren hatten die gelockten Bärte und den hohen Kopfputz babylonischer Könige. Nicht alle waren ganz Mensch. Sie hatten menschliche Gesichter, aber die Körper von Löwen, Stieren, Hirschen, ja sogar Vögeln.
    Manche Lykanthropen glaubten, dass unsere Krankheit - was auch immer uns zu dem machte, was wir waren - ihren Ursprung ganz am Anfang der Zivilisation hatte, in einer Zeit, in der die Menschen der Natur näher standen, als Menschen und Tiere miteinander redeten, wie in so vielen der alten Geschichten. Wir bildeten ein Verbindungsglied, erinnerten die Menschen an diese Zeit. Es war eine optimistische, umweltfreundliche Haltung ge- genüber Lykanthropie. Andere Leute - etwas weniger nett, etwas mehr dazu geneigt, an einen rachsüchtigen Gott zu glauben - waren der Ansicht, wir seien eine Höllenbrut.
    Vielleicht zog ich es deshalb vor, das Ganze als Krankheit zu betrachten. Eine seltsame Krankheit, aber dennoch messbar. Denn wenn die Lykanthropie ein Leiden war, bedeutete das, dass ich einfach Pech gehabt hatte. Und nicht, dass ich Teil eines gigantischen kosmischen Planes war, über den ich keinerlei Kontrolle besaß, geschweige denn Einblick.
    Der Geruch des Zimmers wusch über mich hinweg, genauso deutlich wie eine Farbe oder Licht. Es waren fremde, ungezähmte Düfte: nicht nur die Mensch-Fell- Mischung von Lykanthropen, das Aroma von Haut, die etwas Wildes bedeckte. Dies hier war sogar noch tierischer. Als bedecke stattdessen Fell die Haut, und als schwäche nichts die tierische Seite der Gleichung ab. Es war der Geruch von Instinkten, vom Kampf um Nahrung und Raum. Kommunikation erfolgte durch den Geruchssinn - nicht nur hingepinkelte Reviermarkierungen. Angst, Wut, Freude und Lust hatten alle ihren eigenen Duft. An diesem Ort hatte es viele Gefühlsregungen gegeben. Viel Hunger, fleischig und reif.
    Balthasar deutete auf die Ausstattung. »Was hältst du davon?«
    »Es gefällt mir. Bin mir nicht sicher, ob ich mir das für mein eigenes Wohnzimmer so vorstellen könnte, aber es ist... exotisch.« Beinahe hätte ich sexy gesagt. »Die Figuren - was sind sie? Babylonisch?«
    »Ganz genau.« Er nickte zustimmend. »Kennst du die alten Geschichten?«
    »Manche. Daniel in der Löwengrube - die Version, in der er ein Werlöwe ist. Das Gilgamesch-Epos. Hauptsächlich durch moderne Interpretationen in englischen Literaturwissenschaftsseminaren und all so etwas.«
    »Es gibt viel, was wir von den Alten lernen können. In mancherlei Hinsicht sind es bessere Zeiten gewesen.«
    »Ich weiß nicht, ich hab eigentlich was übrig für die moderne Medizin, Fernsehen, das Recht für Frauen, Eigentum zu besitzen und wählen zu gehen. All die Annehmlichkeiten des modernen Lebens.«
    »Ich habe ja gesagt, in mancherlei Hinsicht.« Er kam näher. Wahrscheinlich würde es mir nicht gelingen, einfach aus seiner Reichweite zu treten. Eine Gänsehaut überzog meine Arme. Doch ich wich nicht vor ihm zurück.
    Er betrachtete die Wandgemälde, die Prozession an der Wand, und deutete auf einige Einzelheiten. Eine Reihe kleinerer menschlicher Gestalten stand vor einem Thron, auf dem ein Gott mit einem Löwenkörper hockte und die Gaben empfing, die Schachteln und Gefäße, die sie vor ihn stellten. »Zu den Zeiten hat es eine Macht gegeben. Jetzt verstecken wir uns. Damals wurden die Götter und ihre Diener auf jede Wand gemalt, so dass alle sie sehen konnten. Die Statuen standen an jedem Stadttor Wache. Wie wäre es deiner Meinung nach, von deiner Gesellschaft gefeiert, anstatt als Fluch betrachtet zu werden?« Seine Stimme war hypnotisch.
    Er malte ein ansprechendes Bild. Beinahe eine Utopie. Doch diese Gesellschaften vollbrachten außerdem Blutopfer für ihre

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