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Die Stunde des Spielers

Die Stunde des Spielers

Titel: Die Stunde des Spielers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Vaughn
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Strip zu tun pflegte. Ich war schon am Gehen, als der Riegel aufschnappte und sich die Tür öffnete. Augen spähten heraus, und als sie mich erblickten, wurde die Tür weiter aufgemacht.
    Ein sehr junger Mann - achtzehn oder neunzehn -, etwas größer als ich, stand barfuß im Türrahmen, mit nacktem Oberkörper und in einer ausgeblichenen engen Jeans. Er war durchtrainiert und sonnengebräunt, seine Brust breit, aber immer noch knabenhaft, haarlos, mit Muskeln, die sich deutlich abzeichneten. Seine sonnenblonden Haare waren einige Zentimeter lang und nach hinten aus dem Gesicht gestrichen. Er hatte dunkle Augen und seine Miene spiegelte Neugierde. Die Hand auf dem Türknauf, musterte er mich von Kopf bis Fuß, als wisse er nicht recht, was er als Nächstes tun sollte. Er wirkte ein wenig verschlafen, als sei er gerade eben erst von einem Nickerchen erwacht.
    Ich starrte nicht nur ein Model an. Ich starrte ein Unterwäsche-Supermodel an, und ich war mir nicht sicher, ob meine Knie nicht gleich weich würden.
    Als ich es endlich schaffte, Luft zu holen, erkannte ich ihn am Geruch wieder. Avi der Werleopard aus der Show. »Hi«, sagte ich.
    »Du bist’s«, sagte er. Sein Lächeln ließ sein Gesicht erstrahlen. Mein Herz setzte einen Schlag aus.
    Wir betrachteten einander noch einen verwirrten Augenblick lang. Dann kam mir der quälende Gedanke: Ich bin dabei, mich an einem kleinen Kind zu vergreifen. Dieser Knabe ist zu jung für mich. Das hatte ich noch nie zuvor über einen Typen gedacht, und auf einmal fühlte ich mich alt. Doch es stimmte. Am liebsten hätte ich ihn auf ein Eis eingeladen.
     »Ähm … ich muss wirklich mit Balthasar sprechen. Er hat vorgeschlagen, ich könnte vorbeischauen und mich mit euch unterhalten. Weißt du, von Angesicht zu Angesicht. Menschliches Angesicht.« Ich schwöre, ich hätte
    mit dem Schwanz gewedelt, wenn ich gerade einen gehabt hätte. Es war einfach lächerlich.
    Da kam Balthasar hinter Avi herangeschlendert. Und er sah sogar noch besser als Avi aus. Er war auf jeden Fall alt genug für mich. Balthasar trug ein zerknittertes Frackhemd, hochgekrempelte Ärmel und Jeans. Er war ebenfalls barfuß.
    »Kitty«, sagte er. »Welch Überraschung.«
    Er sagte nicht nette Überraschung, was mich zusammenzucken ließ. »Es tut mir leid, ich hätte vorher anrufen sollen. Aber ich muss wirklich mit dir reden.«
    »Ist schon gut«, sagte er mit einem leisen Lachen. »Schön, dich zu sehen. Bist du schon verheiratet?«
    »Nein. Ja, genau darüber möchte ich mich mit dir unterhalten.«
    »Ich bin noch nie zuvor einem Werwolf begegnet«, sagte Avi strahlend. »Ich kann es riechen.« Er warf Balthasar einen Blick zu, als wolle er sich vergewissern. »Es ist anders.«
    »Werwolf und eine Frau«, sagte er mit einem Blick auf die Kurven unter meinem Kleid. »In jeder Hinsicht exotisch.«
    Stieg mir die Röte ins Gesicht, weil ich beschwipst war oder weil mit mir geflirtet wurde? Das Lächeln, das ich zustande brachte, war hoffentlich höflich und nicht albern. »Nicht wirklich. Wo ich herkomme, gibt es noch viele von meiner Sorte.«
    Balthasar machte die Tür weit auf. »Warum kommst du nicht rein? Du kannst die anderen kennenlernen, und wir können uns unterhalten.«
    Ich trat ein, und Avi schloss die Tür hinter mir.
    Auf einmal durchzuckte mich der Gedanke, dass ich in das Herz des Reviers eines anderen Lykanthropen ging. Das ernüchterte mich. Niemand benahm sich bedrohlich oder aggressiv, doch ich passte besser auf. Ich blickte über die Schulter zu der geschlossenen Tür zurück.
    Wir gingen in das innere Zimmer der Suite.
    So viel musste ich einräumen: Avi benahm sich nicht wie ein Gefangener oder als sei er gegen seinen Willen hier. Er wirkte nicht angespannt oder argwöhnisch, und seine Haltung war genauso anmutig und ausgeglichen wie diejenige seines Leoparden-Ich. Ich fragte mich: Wie geriet ein Teenager in die Lage, von einem Werleoparden gebissen zu werden? Vielleicht würde ich ihn dazu bringen können, mir die Geschichte zu erzählen.
    Das erste Zimmer - vielleicht eine große Diele, doch auf mich wirkte es wie ein Rittersaal - war offen und hatte eine niedrige Decke. Sessel und Sofas lagen tief, und es stapelten sich Kissen darauf. Sie sahen so weich und bequem aus, dass man am liebsten darauf herumgesprungen wäre. Ein dicker roter Teppich dämpfte die Schritte. In regelmäßigen Abständen wurde die Decke von Säulen gestützt, die azurblau angemalt und mit goldenen

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