Die Stunde des Tors
Eule glättete die Falten ihres weißgrünschwarzen Kilts. »Ich weiß auch nicht, wieviel ich davon glaube«, fügte Tolafay unsicher hinzu.
»Inzwischen ist es uns schon gelungen, eine halbe Welt zu überzeugen«, warf Clodsahamp ungeduldig ein. »Die Zeit drängt. Die Zivilisation steht taumelnd am Rande des Abgrunds. Ich muß unsere Geschichte doch hoffentlich nicht erst wiederholen?«
»Das glaube ich kaum«, sagte Malu. Er zeigte auf den wachsamen Ananthos. »Schon die bloße Tatsache, daß ein Weber, also ein Bürger eines notorisch fremdenfeindlichen Staats, als Verbündeter mit euch reist, ist Beweis genug, daß etwas wirklich Außerordentliches im Gange sein muß.«
»Wer nennt hier eigentlich wen ›fremdenfeindlich‹ «, flüsterte Ananthos säuerlich.
»Ich kann nur für euch hoffen, daß es etwas Außerordentliches ist«, knurrte der Eulerich. Mit einer gelenkigen Flügelspitze wischte er sich über eines seiner tellergroßen Augen. »Ihr habt die ganze Bevölkerung von Eisenwolke aus ihrer Tagruhe gerissen. Die Leute wollen eine vernünftige, überzeugende Erklärung dafür haben.« Er blinzelte und bedeckte das Gesicht, als die Sonne hinter einer verirrten Wolke hervorkam.
»Wie ihr mit diesem gräßlichen blendenden Licht im Auge leben könnt, wird mir ein ewiges Rätsel bleiben.«
»Na schön«, meinte Clodsahamp seufzend. »Dann könnt ihr die Details unserer Lage eurem Anführer oder Bürgermeister oder wem auch immer berichten...«
»Wir haben keinen einzelnen Führer«, sagte der Eulerich mit milder Empörung. »Wir haben weder Ratsversammlungen noch einen Kongreß. Wir leben in friedlicher Koexistenz miteinander, ohne uns mit widerlichen Regierungen zu belasten.«
»Wie fällt ihr denn dann Gemeinschaftsentscheidungen?«
fragte Jon-Tom neugierig.
Der Eulerich blickte ihn an wie ein Wesen zweiter Klasse.
»Wir respektieren einander.«
»Heute abend gibt es ein Fest«, sagte Malu und versuchte, die Atmosphäre etwas zu entkrampfen. »Dabei können wir dann über euer Anliegen sprechen.«
»Das ist nicht nötig«, meinte Flor.
»Doch, das ist es«, wandte der Lemur ein. »Seht ihr, wir können euch entweder als Feinde oder als Gäste empfangen. So oder so wird es ein Fest geben.«
»Ich glaube, ich verstehe, was ihr meint«, sagte Caz trocken und musterte Tolafays rasiermesserscharfen Schnabel, der ihn mühelos in zwei Stücke reißen konnte. »Dann möchte ich doch sehr hoffen, daß wir als Gäste empfangen werden...«
An diesem Abend kamen sie in einer Höhlenkammer zusammen, die weitaus größer als alle anderen war. Jon-Tom staunte über die Kraft- mochte sie nun technischer oder natürlicher Art gewesen sein -, die es fertiggebracht hatte, in beinahe reines Eisen derartige Höhlen zu schlagen.
Sie war nur schwach von Lampen beleuchtet, doch etwas heller als sonst- eine Geste, mit der man den sehschwachen Besuchern entgegenkommen wollte. Die gewölbten Wände waren mit Federtrophäen und Echsenhäuten geschmückt. Fast hundert Eulen aller Art und Größe erfreuten sich an der Musik und am Tanz, genau wie ihre Lemurengefährten.
Die Gäste beobachteten das Spektakel aus Federn und Fellen mit Freude. In der Höhle war es angenehm warm, ja es war überhaupt das erste Mal, seit sie Gossameringu verlassen hatten, daß ihnen warm war...
Die Musik war recht seltsam, doch noch seltsamer war das Wesen, das sie produzierte: Ganz in der Nähe stand eine riesige weiße Schleiereule in einem rosagrünen Kilt und spielte auf einer Kreuzung zwischen Tuba und Flöte. Sie hielt das Instrument mit biegsamen Flügelspitzen und einem krallenbewehrten Fuß fest, während sie geschickt auf einem Bein das Gleichgewicht aufrechthielt und die Melodie mit einer Präzision hervorpickte, die mit Lippen niemals erreicht worden wäre.
Eulen und Lemuren strömten auf den großen kreisrunden Tanzboden aus Eisen, tanzten und hüpften umher, während ihre Gefährten an den riesigen geschwungenen Tischen saßen und nach Herzenslust schmausten und tranken. Es war einfach wunderbar mit an zusehen, wie die großen Flügelschwingen auf und ab flatterten und die Luft peitschten, als die Eulen mit ihren vergleichsweise winzigen, aber unglaublich gelenkigen Primatengefährten Jigs und Reels tanzten. Krallen und winzige gepolsterte Füße glitten und hopsten umeinander, ohne auch nur einen einzigen Takt auszulassen.
Die Nacht war schon zur Hälfte vorüber, als Jon-Tom sich zu Flor vorbeugte und fragte: »Wo ist
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