Die Stunde des Tors
Clodsahamp?«
»Weiß nicht.« Sie setzte das schmalschnabelige Trinkgerät ab, an dem sie gerade genippt hatte. »Ist er nicht einfach super?« Ihre Augen glänzten fast so hell wie die des Akrobaten, der vor ihrem Tisch die unglaublichsten Sprünge vollführte und mit seinen langen Mittelfingern Muster in die Luft zog. Eine wunderschöne Lemurin gesellte sich zu ihm, und so wurde die Tanzgymnastik ohne Unterbrechung fortgesetzt.
Jon-Tom stellte seinem pelzigweißen Gastgeber, der auf der anderen Seite neben ihm saß, dieselbe Frage.
»Das weiß ich auch nicht, Freund«, erwiderte Malu. »Ich habe den dickpanzerigen Alten schon den ganzen Abend nicht mehr gesehen.«
»Mach dir keine Sorgen, Jon-Tom.« Caz blickte ihn von seinem Platz ein Stück weiter unten in der Reihe her an. »Unser Hexer ist zwar reich an Wissen, doch gebricht es ihm an der Fähigkeit, sich zu vergnügen. überlaß ihn doch seinen privaten Meditationen. Wer weiß schon, wann wir wieder Gelegenheit haben, uns auf solch wahrhaft treffliche Weise zu amüsieren?« Er wies mit großartiger Gebärde auf die Tanzenden.
Doch die Sorge ließ Jon-Tom einfach nicht los. Als er mit seinen Blicken den Raum absuchte, stellte er fest, daß von Pog ebenfalls jede Spur fehlte. Das war noch ungewöhnlicher, immerhin kannte er schließlich die Vorlieben des Fledermausgehilfen. Er hätte erwartet, daß er auf der Tanzfläche umhertobte und mit irgendeiner anmutigen Schleiereulendame flirtete. Doch er war nirgends zu sehen.
Jon-Toms Gefährten amüsierten sich viel zu sehr, um zu bemerken, wie er vom Tisch aufstand und verschwand. Als Antwort auf seine Frage zeigte ein getupfter Koboldmaki mit unglaublich blutunterlaufenen Augen auf einen Gang, der noch tiefer in den Berg hineinführte. Jon-Tom lief ihn entlang, und schon bald verhallten Lärm und Musik hinter ihm.
Fast wäre er an dem Raum vorbeigerannt, wenn er nicht ein vertrautes Stöhnen vernommen hätte: die Stimme des Hexers. Er zerrte den Vorhang beiseite, der den Eingang versperrte.
Auf einem zerbrechlichen Lager, das sich unter seinem Gewicht gefährlich bog, lag der massige Körper des Hexers. Er hatte Arme und Beine in seinen Panzer zurückgezogen, so daß nur noch sein Kopf hervorragte. Der aber zuckte und wackelte in einer entsetzlichen Parodie auf die Kopfbewegungen der Weber. Von seinen Augen war nur das Weiße zu sehen. Seine Brille lag sauber und zusammengefaltet auf einem neben dem Lager stehenden Schemel.
»Pst!« warnte eine Stimme. Als er emporblickte, sah Jon-Tom Pog, der von einem Lampenhalter baumelte. Der flackernde Docht hinter ihm ließ seine Schwingen durchsichtig schimmern.
»Was ist los?« fragte Jon-Tom flüsternd und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den leise wimmernden Hexer.
»Was ist denn?« Schwach vernahmen sie das Echo des festlichen Lärms im Hintergrund. Nun empfand Jon-Tom die Musik nicht mehr als belebend. Hier in diesem kleinen Raum ging irgend etwas Wichtiges vor.
Pog zeigte mit einem Finger auf Clodsahamp. »Der Meischter liegt in einer Trance, wie ich schie nur schelten geschehen habe. Er kann und darf nicht geschtört werden.«
So warteten die beiden und beobachteten fasziniert die zitternde, stöhnende Gestalt. Gelegentlich flatterte Pog herab, um dem Hexer die Feuchtigkeit aus den offenen Augen zu wischen, während Jon-Tom an der Tür Wache stand, um etwaige Störer abzuwehren.
Es war unerträglich, einen Alten, ob er nun ein Mensch oder ein anderes Wesen sein mochte, derartig stöhnen zu hören. Es war das hilflose, matte Geräusch, wie es ein krankes Kind hätte von sich geben können. Gelegentlich ertönten Bruchstücke halbwegs verständlicher Worte. Doch zum überwiegenden Teil war der schrille Singsang, der den Raum erfüllte, völlig unverständlicher Unsinn.
Nach und nach hörte es auf. Clodsahamp sackte zusammen wie ein Hefekuchen. Sein Zittern und Kopfwackeln ließen nach.
Pog ließ die Schwingen ein paarmal flattern, dann streckte er sich und glitt nach unten, um nach dem Hexer zu sehen. »Jetscht schläft der Meischter«, meldete er dem innerlich völlig erschöpften Jon-Tom. »Er ischt auschgelaugt.«
»Aber worum ging es denn überhaupt?« fragte Jon-Tom.
»Was war das Ziel der Trance?«
»Wischen wir erscht, wenn er wieder aufgewacht ischt. Musch man natürlich wachschen laschen. Können nichtsch tun alsch abschuwarten.«
Jon-Tom musterte zweifelnd die bewußtlose Gestalt. »Bist du sicher, daß er da wieder
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