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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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von neuem gefestigt.
    Ihr Gefühl sagte Aimée, dass das Auftauchen des Lombarden nicht allein mit einem Kredit zusammenhängen konnte, den er dem Haus Cornelis eingeräumt hatte. Es musste einen anderen, schwerwiegenderen Grund geben. Wie kam eigentlich der Name ihres Onkels ins Spiel?
    »Aimée! Ihr müsst mir helfen.«
    Colard war sichtlich beunruhigt. Seine Tante war völlig außer sich geraten. Er wusste nicht mehr, was tun. Aimée fand sich unversehens in die Rolle der Krankenpflegerin für eine Frau gedrängt, die diese Nächstenliebe mit einem Schwall von Gehässigkeiten lohnte. Es dauerte Stunden, bis Sophia, von einem Kräutertrank beruhigt, vor Erschöpfung einschlief.
    »Lass sie schlafen«, wies sie Sophias Kammermagd an und verließ fluchtartig den üppig möblierten, von Glutbecken überhitzten Schlafraum.
    Ihr Versuch, danach ebenfalls etwas Ruhe zu finden, scheiterte jedoch an Lison. Die Magd kam die große Treppe herauf.
    »Was ist jetzt passiert?«
    »In der Halle ist ein Seigneur, der Euch zu sprechen wünscht.«
    »Schon wieder ein Besuch?«
    Schon im Hinuntergehen erkannte sie ihn.
    »Onkel Jean-Paul!«

16. Kapitel
    B RÜGGE , 4. A UGUST 1369
    Colard wischte sich die staubigen Handflächen an seinem Wams ab. Die hastige Inventur, die er mit Joris in den verschiedenen Lagerschuppen des Handelshauses gemacht hatte, war zu einem Ergebnis gekommen, das seine schlimmsten Befürchtungen überstieg. Ruben hatte alles mitgenommen, was sich zu Geld machen ließ.
    Sogar die Kisten mit den gepolsterten Westen und Beinlingen, die unter einer Rüstung getragen wurden, fehlten. Das Unterzeug, von den berühmten Leinenwaffenschmieden in Mailand gefertigt, war fast so wertvoll wie die Rüstungen selbst.
    »Ich frage mich, wie er es fertiggebracht hat, all das aus der Stadt zu schaffen und auf die Koralle zu verladen«, sagte Joris.
    »Mit flachen Zillen und Lastkähnen«, entgegnete Colard. »Möglicherweise hat er sich auch Helfer auf den Baggerschiffen gesucht, die nachts die Kanäle von Schlick und Sand befreien. Für diese Arbeit werden bevorzugt Galgenvögel eingesetzt. Ich hätte besser aufpassen müssen. Trina hat mir erzählt, dass sich Ruben mit merkwürdigen Gesellen herumtreibt. Ich habe es nicht ernst genommen. Ich dachte, wie Trina, er rebelliert gegen die Fesseln seiner Ehe.«
    Völlig niedergeschmettert sah er Joris zu, wie er die Inventurlisten kurz entschlossen an die Kerze der Laterne hielt, die ihnen im Zwielicht des Lagers Licht spendete. Das Papier war feucht. Es zischte, als es entflammte.
    »Eine Inventur ohne Bestände. Wem nützt sie etwas«, war Joris' lapidarer Kommentar. »Und Spuren verwischen wir auch, wenn sie vernichtet ist.«
    »Denkst du, das rettet uns?«, spottete Colard bitter. »Die Zunft der Londoner Waffenhändler registriert schon seit vielen Jahren alle eingeführten Rüstungen und Waffen nach Wert und Herkunft. Die Herren lassen sich nicht gern ins Geschäft pfuschen.«
    »Du vergisst, dass Ruben nicht die Themse hinauffährt. Sein Ziel ist der Norden Englands. Vermutlich lässt Kapitän Ballard das Schmuggelgut in irgendeiner versteckten Bucht umladen und an Land bringen. Wenn alles gutgeht, werden die englischen Zünfte genauso wenig von diesem Geschäft erfahren wie jene in Brügge. Jetzt müssen wir die Ruhe bewahren und einen klaren Kopf behalten.«
    Joris verbrannte sich fast die Finger, während das letzte Eckchen Papier verglomm.
    »Ein feines Paar sind unsere beiden Helden. Ein zwielichtiger Handelskapitän und ein leichtsinniger, hitzköpfiger Handelsherr. Beide steuern ein Schiff voller Schmuggelware ins Unglück, das nicht einmal gegen Verlust und Schiffbruch versichert ist.«
    Die Seeversicherungen, die in den letzten Jahren aufgekommen waren, um Fracht und Risikoabsicherung für kostbare Ladungen abzudecken, kamen aus südlichen Ländern.
    Nicht zuletzt durch die Piraterie waren sie notwendig geworden, aber sie deckten natürlich keine zweifelhaften Geschäfte, wie Ruben sie plante.
    »Reiß dich zusammen«, forderte Joris. »Ruben hat nicht ehrenwert gehandelt, aber auch nicht hirnlos. Seine Chancen stehen gut. Die Sache ist so aberwitzig, dass nicht einmal unsere ärgsten Feinde Verdacht schöpfen werden. Das Haus Cornelis und Waffenschmuggel, undenkbar. Noch dazu, nachdem der Herzog Ruben eine Adelige zur Frau gegeben und ihn vor allen anderen Gästen aus Brügge geehrt und ausgezeichnet hat.«
    »Ein Fehler. Genau das hat ihn in den Größenwahn

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