Die Stunde des Wolfs
sie sehen. »Tapferer Teufelskerl.« Dies von Ratter, der über der grünen Kompasshausbeleuchtung stand, die sein Gesicht von unten anstrahlte, als wäre er ein Kind mit einer Taschenlampe.
De Haan wandte sich gerade rechtzeitig wieder der Küste zu, um einen zweiten Bomber zu sehen – oder den ersten, der noch nicht genug hatte und den nächsten Anlauf nahm –, ein schwarzer Blitz vor dem Feuerschein, gefolgt von einem schönen weißen Sternregen und Rauchschwaden, die in der Luft einen hohen Bogen bildeten, und einer verschwommenen Momentaufnahme von so etwas wie einem Deckaufbau. »Schiff?«, sagte er.
»Sieht so aus, Herr Kaptän«, sagte Ruysdaal.
»Die haben es auf den Marinestützpunkt in Kristiansand abgesehen«, sagte Ratter.
Es ging so weiter. Stotternde Flugabwehr, die feuererleuchtete Nacht. »Ich glaube, es ist nicht auszuschließen«, sagte Ratter, »dass sie das für uns tun.«
»Das würden sie nicht machen«, sagte De Haan.
»Bist du dir da sicher?«
Nach kurzem Überlegen: »Nein.«
Einer der Suchscheinwerfer hatte einen Bomber ausgemacht, aus dessen Rumpf unterhalb der Tragfläche eine dünne Rauchfahne strömte. Ein zweiter Lichtstrahl kam dazu, dann ein dritter. Inzwischen waren sie darin richtig gut – sie konnten diesen Teufelskerl jetzt so lange an den Himmel nageln, wie sie wollten. Doch nicht allzu lange. Das Flugzeug drehte sich um die eigene Achse und stürzte schließlich ins Meer, wo nur noch Dampf zu sehen war.
Ostseehäfen
A N EINEM VOLLKOMMENEN Sommermorgen ließen sie die Minenfelder am Skagerrak hinter sich.
Sie umrundeten Skagen um 07.30 Uhr, als Ratter und De Haan zusammen auf der Brücke Dienst taten, wo sie schon die ganze Nacht gewesen waren und einen Kaffeebecher nach dem anderen geleert hatten, während sie so lange über den britischen Karten brüteten, bis sie sicher waren, dass sie es richtig verstanden hatten, und erst dann die Kurswechsel befahlen. Sie hatten außerdem seit Mitternacht zwei Vollmatrosen am Bug aufgestellt, um das Wasser vor dem Schiff zu beobachten, denn es wurde hier oben um diese Jahreszeit nie richtig dunkel – so kurz vor Mittsommernacht war der skandinavische Himmel lange vor Sonnenaufgang silbrig blass. Ansonsten kam es De Haan so vor, als herrschte der normale Handel und Wandel im Kattegat – zwei norwegische Küstenfahrer ihnen voraus, ein mit Kohle fahrender Frachter in der Ferne und, das einzige Zeichen der deutschen Besatzung, ein umgerüsteter Trawler mit der Marine-Hakenkreuzflagge, der an der dänischen Küste patrouillierte.
Zum ersten Mal seit vierzehn Stunden entspannte sich De Haan und erlaubte sich, an seine schmerzenden Füße und an die Koje in seiner Kajüte zu denken. Er hatte gerade die Karten in ihren Umschlag zurückgesteckt, als einer der Beobachtungsposten den Niedergang hochgehastet kam und brüllte: »Losgerissene Mine, Herr Kaptän, Backbord voraus!«
»Maschinen-Stopp«, sagte er zu Ratter und trabte dann hinter dem Matrosen her, der weiß Gott rennen konnte. Sie hasteten zum Bug hinauf, doch in dem Moment, als er es sah, wusste er, dass sie sich ebenso gut hätten Zeit lassen können, denn sie konnten absolut nichts dagegen tun.
Eine rostige Eisenkugel, vor langer Zeit einmal orange gestrichen, rundherum mit Zündkappen gespickt, schaukelte neun Meter vor dem Bug, die abgerissene Eisenkette schleifte hinterher. Gar nicht besonders kriegsmäßig oder unheimlich dem Aussehen nach, erfüllte sie einfach nur ihren Zweck; sechshundert Pfund Amatol, genug, um ein Dorf in die Luft zu sprengen.
Wie versteinert standen De Haan und die Matrosen einen Moment lang da und beobachteten, wie das Ding an ihnen vorüberglitt. Der Motor war aus, aber das hatte nichts zu sagen, denn der Schub würde sie noch ein ganzes Ende weitertragen, und dies auch trotz des starken Kurswechsels mit dem Ruder. Sie hätten es mit dem Gewehr versuchen können, dachte De Haan, doch dafür war sie viel zu nahe. Nein, ihm blieb nichts weiter übrig, als auf dem Deck zurückzulaufen, der Kugel Gesellschaft zu leisten und abzuwarten, ob das Schicksal ihnen gnädig sein und eine kleine Welle oder eine noch so zarte Brise schicken würde, bis er schließlich, durch reinen Zufall immer noch am Leben, am Heck stand und zusah, wie sie auf dem sonnengesprenkelten Wasser davonschwamm.
Der Kapitän der Noordendam und einer ihrer Passagiere blieben am Abend des Zwanzigsten dem Essen fern. Irgendwann früh am nächsten Morgen würden sie vor
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