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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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fast dunkel, als sie plötzlich die Kuppe eines Hügels hochfuhren und zu ihrer Linken das Meer erblickten. Wilhelm trat auf die Bremse und hielt an. »Da wären wir«, sagte sie.
    Dort unter ihnen die Noordendam vor Anker. Ihre Lichter schimmerten im Dunst, aus ihrem Schornstein stieg dünner Rauch, da sie einen Kessel heizten, um das elektrische System zu speisen.
    »Haben Sie diesen alten Möbelwagen gesehen? Auf dem Platz?«, fragte Wilhelm.
    »Ja.«
    »Das ist Ihre Farbe«, sagte sie. »In Metalleimern.«
    »Wird er bewacht?«
    »Natürlich, von dem Wächter, den Sie gesehen haben. Und der Fahrer hält sich auch in der Nähe auf.«
    »Wie viel haben Sie?«
    »Neunhundert Liter. Beim Schiffslieferanten haben sie gesagt, Sie brauchten Gummigutt und Indigo – für Dunkelgrün. Und Weiß für die Streifen. Natürlich muss es verdünnt werden, ziemlich stark sogar, deshalb gibt's noch Terpentinersatz.«
    Wilhelm reichte ihm ein Blatt Papier mit einer in Bleistift und Druckbuchstaben geschriebenen Anleitung. De Haan konnte sie im letzten Abendlicht nur so eben entziffern. »Schornstein: schwarz mit grünem Streifen. Rumpf: schwarz mit breitem grünem Streifen zwischen schmalen weißen Streifen.«
    »Ist das korrekt?«, fragte Wilhelm.
    »Das ist die Beschreibung in Lloyds Register. Gott sei Dank, kein Anstrich des Rumpfs unter der Wasserlinie.« Für Letzteres – die Rumpffläche, die sichtbar wurde, wenn das Schiff ohne Fracht hoch im Wasser stand – wurden oft die Reedereifarben verwendet.
    »Und dann Santa Rosa auf die Seite«, sagte Wilhelm.
    »An den Bug, ja. Und ans Heck.«
    Die Noordendam sollte zur Santa Rosa werden, von der Compañía Naviera Cárdenas Sociedad Anónima, mit Geschäftsräumen in der Gran Via in Valencia. Als Schiff, das unter spanischer, das heißt, neutraler Flagge lief, konnte sie überallhin. Theoretisch zumindest. Nach Leidens Auskunft lag die echte Santa Rosa mit einem gravierenden Motorschaden, der ein neues Gussstück erforderlich machte, im mexikanischen Hafen Campeche auf Trockendock.
    Leiden und mit ihm die Abteilung IIIA gingen von der folgenden Annahme aus: Seit das Schifffahrtsnachrichtenblatt Lloyd's List – das täglich das Neueste aus der Welt der sechstausend Handelsschiffe berichtete – kriegsbedingt seine Rubrik ›Schiffsbewegungen und Havarien‹ eingestellt hatte, würde feindliches Personal, ob auf See oder im Hafen, nur über das jährliche Lloyds Register verfügen, und die falsche Santa Rosa würde auf die Beschreibung passen, die in dem Teil über Spanien zu finden war. Das heißt, wenn sie überhaupt nachschlugen. Weiterhin nahm man an, dass die neuerdings vertrauliche und in begrenzter Auflage verbreitete Version der Schifffahrtsseiten feindlichen Beobachtern nicht zugänglich sei. Auf dieser Grundlage setzte die Abteilung IIIA zweiundvierzig Menschenleben und ein Schiff aufs Spiel.
    Gleichwohl kein gar so riskantes Unterfangen. Die Noordendam, und die Santa Rosa waren, wenn nicht gerade Zwillinge, wenigstens Schwestern. Sie waren typische Trampfrachter, die an jedem beliebigen Ort Ladung aufnahmen und sie zu jedem beliebigen Bestimmungshafen brachten, wohingegen Linienschiffe ihre geregelten Routen zwischen zwei Städten fuhren. Sie waren beide um 1920 herum gebaut worden, wogen fünftausend Bruttoregistertonnen, waren ungefähr hundertzwanzig Meter lang und achtzehn Meter breit, hatten 7,60 Meter Tiefgang, einen Schornstein, Laderäume vorn und achtern, einen abgestumpften Bug, ein rundes Heck, konnten neuntausend Tonnen Fracht aufnehmen – genug, um dreihundert Güterwagen zu füllen – bei einer Spitzengeschwindigkeit von elf Knoten. An einem schönen Tag bei mäßigem Seegang. Sie sahen sich ähnlich und fielen unter tausend anderen nicht weiter auf.
    »Gibt es Schiffspapiere – für die Santa Rosa?«, fragte De Haan.
    »Hätte keinen Sinn. Sie könnten nur Gebrauch davon machen, wenn Sie geentert würden, und wenn es dazu kommt, ist das Spiel ohnehin aus. Eine Handelsschiffsbesatzung würde keine Befragung überstehen, und es gibt zu viele Dinge auf dem Schiff, die es bei genauem Hinsehen verraten würden. Trotzdem« – sie griff hinter den Fahrersitz und holte ein weiches, in braunes Packpapier gewickeltes, verschnürtes Päckchen hervor – »das hier ist mein Beitrag.«
    Sie löste die Schnur, schlug das Papier zurück und reichte De Haan eine Schiffsflagge, deren schwerer Baumwollstoff vom Dienst auf dem Meer verblasst war. Eine

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