Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
Vom Netzwerk:
spanische Flagge, die monarchistische Variante, die Franco 1939 wieder eingeführt hatte. Zwei horizontale rote Streifen – ganz offensichtlich blutrot – rahmten eine breite gelbe Fläche mit einem Wappen: Unter einem flatternden Wimpel mit Motto wurde ein im Profil dargestellter Adler von einem Schild im Schachbrettmuster geschützt. Als Nordeuropäer an schnörkellose Streifen gewöhnt, hatte De Haan diese Flagge schon immer mit einem mittelalterlichen Kriegsbanner assoziiert.
    »Sieht ziemlich abgenutzt aus«, sagte er.
    »Ist sie auch.«
    »Haben Sie die gekauft?«
    »Haben wir zumindest versucht. Aber am Ende haben wir sie gestohlen. Im April bekamen wir eine Nachricht von Leiden, ›beschaffen Sie eine gebrauchte spanische Marineflagge‹. Na ja, in den hiesigen Basaren konnten wir keine finden, also sind wir – ich und ein Freund, ein vertrauenswürdiger Freund – für einen Tag mit der Fähre nach Algeciras rübergefahren. Gibt nicht viel, was man da nicht finden könnte, seit der Krieg zu Ende ist – einen einzelnen Stiefel, religiöse Gemälde mit Hammer und Sichel markiert, alte Pistolen –, aber gebrauchte Flaggen waren ihnen gerade ausgegangen. Also sind wir nach Tanger zurückgekehrt, sind zum Händler gegangen und haben eine gekauft. Funkelnagelneu, klar, leuchtende Farben, und damit die falsche. Ich hab alles versucht – in Lauge gewaschen, in Meerwasser eingeweicht, tagelang in der Sonne liegen gelassen –, aber diese Flagge hatte ihren Stolz und wollte einfach nicht altern. Schließlich schlug mein Freund vor, sie in Badesalz zu tränken und im Ofen zu trocknen, was uns einen amüsanten kleinen Brand und einen Besuch von der Feuerwehr bescherte. Als sie wieder gingen, war die Flagge ein bisschen zu gebraucht, sie war schwarz. Nun hatte Leiden aber das Wort ›beschaffen‹ verwendet, was uns einen gewissen – Spielraum ließ, und so hatte mein Freund eine geniale Idee: Jachten. In den Jachtclubs von Tanger und Casablanca lagen viele von ihnen am Strand, und natürlich gaben die Leute, denen sie gehörten, zumindest einige davon, Partys. Jedenfalls fanden wir die Flagge, die wir suchten – an einer riesigen Motorjacht, die dem Grafen von Zamora gehörte, der in Tanger unter dem Namen ›Cookie‹ bekannt ist – der reinste Groucho Marx. Hat wahrscheinlich in seinen jungen Jahren ganz schön auf den Putz gehauen, aber der Putz stammt aus dem neunzehnten Jahrhundert, denn Graf Cookie ist ein uralter Mann und gibt keine Partys mehr. Wir konnten uns aber trotzdem eine Einladung zu einem Cocktail Américain an einem nahe gelegenen Landeplatz verschaffen, auf einer Jacht namens Néréide , die einem italienischen Aristokraten gehörte. Das uferte übrigens in eine richtige Party aus; Kaviar im Klavier, Eiswürfel im Dekolletee, Fächertänze mit dem Vorhang – ein ziemlich lustiges Völkchen, und sie haben nichts ausgelassen.
    Also bin ich nach Mitternacht an Deck hochgegangen, um ein bisschen frische Luft zu schnappen, dann zum Pier zurück, drei Docks weitergelaufen und zum letzten Landeplatz raus. Das einzige Problem dabei war, dass ich diesen Idioten nicht mehr loswurde, der schon den ganzen Abend wie eine Klette an mir hing und der mir jetzt doch tatsächlich zu dieser Motorjacht hinaus folgt. Ganz offensichtlich ein Mitteleuropäer, aber naiv oder vielleicht auch nur stur, weil ich das Mädchen seiner Träume bin. ›Mademoiselle Wilhelm‹, sagt er. ›Im Mondlicht sehen Sie ganz bezaubernd aus.‹
    Wir stehen also am Fuß der Landungsbrücke, und ich flirte mit ihm und sag ihm, ich will diese Flagge. Muss sie unbedingt haben. Verrückte holländische Künstlerin, denkt er, betrunken, aufreizend, muss eine spanische Flagge haben. Na ja, wieso nicht? Also laufen wir auf Zehenspitzen über den Landesteg und an Deck und holen die Flagge ein. Und, siehe da, es ist eine antike – der alte Hund muss sie noch aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg gehabt haben. Und natürlich hört er uns, oder irgendjemand von der Crew hört uns, denn als wir sie gerade losmachen, brüllt jemand etwas auf Spanisch, und wir rennen wie der Teufel und lachen die ganze Zeit dabei.
    Nun ist das eine ziemlich große Flagge, und selbst gefaltet kann sie nicht mit auf die Party zurück, also rennen wir zu seinem Wagen, natürlich ein Logonda, verstauen sie im Kofferraum, und er fährt mich zu meinem Atelier zurück, einer alten Garage, wo ich Kopfschmerzen bekomme und ihn loswerde. Eine Stunde später taucht

Weitere Kostenlose Bücher