Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
Pressburg. Nachdem sie das Leithagebirge passiert hatten, begann es zu regnen und die ungepflasterten Straßen verwandelten sich bald in Ströme aus zähem Schlamm. Die ohnehin ungeordnet marschierende Kolonne zog sich immer mehr in die Länge. Den Quartiermeistern war es unmöglich, für alle Truppen zur Nacht in den Straßendörfern ein trockenes Lager zu finden, und auch Zelte gab es nur wenige, sodass ein Großteil der Männer unter freiem Himmel schlafen musste.
Am fünften Tag, den der Regen fast ohne Unterbrechung währte, sahen die Soldaten, die sich gegen Norden schleppten, aus wie Geistergestalten, die dem Schlamm der Wege entstiegen waren. Die meisten Männer waren über und über mit Dreck besudelt und hatten es aufgegeben, gegen den Schmutz und die Feuchtigkeit anzukämpfen. Jeden Tag meldeten die Quartiermeister mehr Kranke und Deserteure, sodass das Armeekorps, als es Pressburg erreichte, für eine Woche rasten musste, um sich zu reorganisieren. Dort erreichte sie die Nachricht, dass sich in der Grafschaft Glatz unter dem Kommando des preußischen Feldmarschalls Schwerin eine Armee versammelte. Der Preußenkönig aber hatte Sachsen besetzt und belagerte die sächsische Armee, die sich bei Pirna verschanzt hatte.
Der österreichische Feldmarschall Brown, der den Sachsen mit über 30 000 Mann zu Hilfe eilen wollte, war am 1. Oktober bei Lobositz, einem kleinen Ort an der Heerstraße von Prag nach Teplitz, von Friedrich zur Schlacht gestellt worden und musste sich wieder zurückziehen.
Beunruhigender für Gabriela war aber eine andere Nachricht. Nádasdy hatte den Befehl erhalten, seine Truppen nach Olmütz zu führen, um sich dort mit anderen Regimentern zu vereinigen und Winterquartier zu beziehen.
Einen ganzen Abend lang war sie wie betäubt. Als Adjutant Nádasdys würde sie unweigerlich ihrem Onkel begegnen. Bislang hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet, dass sich ihr Weg noch einmal mit dem des Festungskommandanten kreuzen könnte. Ihr Onkel war dazu verdammt, in seiner Garnisonsstadt zu bleiben, während Nádasdy ziehen würde, wohin immer der Wind des Krieges ihn trieb.
Doch Gott war gnädig mit ihr, denn der General erhielt Befehl, sich in Prag zu einer Besprechung des Generalstabs einzufinden, und Gabriela gewann ein wenig Zeit.
Mitte November verließ Nádasdy mit einer kleinen Eskorte und einigen Stabsoffizieren Prag, um sein Winterquartier in Olmütz aufzusuchen. Mit jeder Meile, die sie der Festungsstadt näher kamen, sank Gabrielas Stimmung. Sie hatte erwogen zu fliehen, doch in Prag, wo dies möglich gewesen wäre, stand ihr der Stolz im Wege. Sie hatte gehofft, ihr Schicksal würde vielleicht im letzten Moment noch eine günstige Wendung nehmen. Jetzt aber war Flucht unmöglich. Die Pferde wurden nachts bewacht, und sie konnte sich nicht unbemerkt von der kleinen Gruppe entfernen.
Gabriela fühlte sich hundeelend und zu allem Überfluss hatten am Morgen ihre Blutungen eingesetzt, drei Tage vor der Zeit.
An einer Herberge, ein paar Meilen westlich der kleinen Stadt Trübau, machte die Reiterkolonne halt, um ein Mittagsmahl einzunehmen. Gabriela war kaum abgestiegen, als der General sie zur Seite nahm.
»Was ist mit ihm los, von Bretton? Er sieht mir so bleich aus. Ist er krank?«
Gabriela räusperte sich verlegen. Die anderen Männer beachteten sie kaum. »Ich … Mir geht es gut!«
»Mach Er mir nichts vor, Bretton! Ich habe den dunklen Fleck an seiner Hose bemerkt. Er hat in den letzten Monaten viel zu viel Zeit auf dem Pferde verbracht, als dass es möglich sei, dass Er sich wund geritten hat.«
Gabriela erschauerte bis ins Innerste. Jetzt war alles vorbei. Der General hatte ihr Spiel durchschaut!
»Will Er mir nicht sagen, was los ist?«
Sie schluckte heftig und versuchte vergeblich ein Wort herauszubringen. Ihre Knie zitterten. Sie griff nach dem Sattelknauf, um sich zu stützen.
»Na, was hat Er denn, dass es Ihn fast aus den Stiefeln haut? Ist es die blutige Ruhr?«
Gabriela nickte. »Jawohl, Herr General … Es muss wohl die Ruhr sein … «
»Wo hat Er sich das denn gefangen? In Prag? Hat wohl ein zu fettes Mahl in einer billigen Schenke eingenommen … Na, es ist wohl besser, wenn Er hierbleibt. Sollen die Mägde Ihn pflegen … «
»Ich … es tut mir … «
Nádasdy machte ein ernstes Gesicht. »Er hätte mir das melden müssen. Die blutige Ruhr ist eine ernste Sache. Sie kann eine rechte Seuche werden, wenn sie in die Truppenquartiere eingeschleppt
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