Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
auszubilden.
In der letzten Septemberwoche schließlich erhielt der Junge seine Feuertaufe. In einem kurzen Gefecht mit einer Husarenstreife stellte er einen gegnerischen Meldereiter. Voller Stolz brachte Branko seinen Gefangenen ins Feldlager, und Gabriela überließ es ihm, den Reiter dem Feldmarschall-Lieutenant vorzuführen.
Schmunzelnd hielten Gabriela und Sir sich im Hintergrund, als Branko sichtlich nervös vor den Oberkommandanten trat, um Meldung zu machen.
Laudon war für den hohen Rang, den er bekleidete, noch recht jung. Gabriela schätzte ihn auf ungefähr vierzig. Der Kommandant war von schlanker, drahtiger Gestalt. Sein Gesicht wurde von der großen, sehr geraden Nase und tiefliegenden Augen unter buschigen Brauen beherrscht. Er hatte eine hohe Stirn, auf der sich dünn die ersten Falten abzeichneten. Sein Haar war streng zurückgekämmt und sorgfältig gepudert. Er lächelte Branko freundlich an. »Nun, Husar, willst du mir nicht Meldung machen?«
Der Junge salutierte. »Jawohl, Herr Kommandant! Ich ähm … melde, einen Preußen … ähm … «
»Das sehe ich … «
»Ich meine … ähm einen … Postreiter oder so … Er hat jedenfalls eine Tasche mit einem Brief, Herr Kommandant. Und als wir uns den Kerl gegriffen haben, … ja, ähm … da dachte ich, der Brief würde Sie vielleicht interessieren. Und damit der Kerl keine Zicken macht, habe ich ihm seine Tasche gleich abgenommen.«
Gabriela sah aus den Augenwinkeln, wie Sir rot anlief und sich auf die Lippen biss. Offenbar musste der Schotte alle Kräfte aufbieten, um nicht laut loszulachen. Laudon indessen nahm dem Jungen die Tasche des Meldereiters ab, zog den dünnen Brief hervor und überflog die Zeilen. Ernst runzelte er die Stirn. Er drehte das Schreiben um und sah sich das zerbrochene Siegel an, dann wendete er sich an den Gefangenen.
»Das stammt vom König selbst, nicht wahr?«
Der Soldat, ein Lieutenant der reitenden Jäger, nickte. »Jawohl, der Brief ist an seine Schwester, die Markgräfin von Bayreuth, gerichtet.«
Laudon winkte Gabriela und Sir. Als sie an seine Seite traten, gab er der Husarin den Brief. »Lesen Sie das, von Bretton.«
Offenbar war es ein Gedicht. Das Schreiben war in französischer Sprache abgefasst. Ein wenig ratlos betrachtete Gabriela die Zeilen. Sie hatte diese Sprache nie gelernt, doch bevor ihre Unwissenheit auffallen konnte, begann Sir plötzlich laut vorzulesen:
»… Wenn das Geschick, unbeugsam uns beherrschend,
Ein blutig Opfer fordert – dann, ihr Götter,
Erleuchtet seinen richterlicher Spruch,
Dass seine strenge Wahl auf mich nur falle.
Dann will gehorsam ich und ohne Murren
Erwarten, dass der unerweichte Tod,
Von meiner Schwester seinen Schritt abwendend,
Abstumpfe seiner Sichel Glanz an mir.
Doch wenn so hohe Gunst, als ich erbitte,
Nicht einem Sterblichen zuteil kann werden,
O meine Götter! Dann gewähret mir,
Dass beid’ an einem Tage wir hinab
Zu jenen Fluten steigen, die von Myrten
Lieblich beschattet sind und von Zypressen,
Zu jenem Aufenthalt des ew’gen Friedens,
Und dass ein Grab umschließe unsern Staub!«
»Was ist mit der Markgräfin?«, fragte Laudon höflich.
»Sie liegt krank darnieder. Der König ist in großer Sorge um sie.«
Der Kommandant knetete unschlüssig seine Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger. Sein Blick fiel auf Gabriela. »Was denken Sie, sollen wir damit tun, von Bretton?«
»Dafür sorgen, dass der Brief die Markgräfin erreicht. Wir führen Krieg gegen den König von Preußen und nicht gegen den Privatmann Friedrich.«
Der Feldmarschall-Lieutenant zögerte noch einen Augenblick, dann nickte er. »Ritterlich gesprochen, von Bretton.« Er wandte sich an Branko. »Du wirst deinem Gefangenen die Freiheit schenken. Er soll ein frisches Pferd bekommen und eine Eskorte, die ihn sicher bis zur nächsten Grenze bringt. Schickt mir auch meinen Sekretär. Er soll einen Brief verfassen, indem ich mich persönlich entschuldige, das Siegel zerbrochen zu haben, um mich zu vergewissern, dass dies Schreiben nicht von militärischem Belang ist. Und nun weggetreten!«
Als auch Gabriela und Sir gehen wollten, hielt Laudon sie zurück. »Sie beide brauche ich noch. Sir, du wirst noch in dieser Stunde zu Daun reiten und ihm berichten, dass Friedrich offenbar von einer schweren Melancholie ergriffen ist und den Tod herbeisehnt. Einen besseren Augenblick, um ihn anzugreifen, werden wir in diesem Jahr nicht mehr geboten bekommen. Der Feldmarschall
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