Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
fluchte stumm. Dort standen die Kroaten. Die Posten erwiderten die Schüsse, doch im Heerlager wurde kein Alarm gegeben. Wahrscheinlich hielten die wachhabenden Offiziere es nur für ein kleines Geplänkel, wie es sie schon dutzende Male im Verlauf des Feldzugs gegeben hatte. Schließlich wussten die Preußen ja, dass Dauns Feldlager kaum eine Meile entfernt lag.
Nach einer Weile verstummten die Schüsse. Gabriela rieb sich die Hände. Es war grausam kalt. Ihre Finger waren steif gefroren. So könnte sie nicht vernünftig den Säbel halten.
Dieses endlose Warten! In der vergangenen Nacht war sie auf Posten gewesen, und in den Tagen davor hatte von Graffenstein sie mit ihren Männern zum Fouragieren ausgeschickt. Dabei war es ihre Aufgabe gewesen, den Bauern das Winterfutter für ihr Vieh abzunehmen und ihnen die Vorratskammern zu plündern. Sie hasste das! Zwar ließ sie jedem Bauern einen Schuldschein, der mit dem Doppeladler Österreichs gesiegelt war, doch was nutzte ein Fetzen Papier, wenn der Magen knurrte und Entschädigung fern war.
Todmüde blickte sie in den Nebel. Das Musketenfeuer nahm an Heftigkeit zu. Lange würde es nicht mehr dauern, bis die Preußen begriffen, dass dies mehr als ein Scharmützel werden würde. Sie dachte an Graffenstein. Der Rittmeister ließ keine Gelegenheit aus, ihr und ihren Männern die unangenehmsten Aufgaben zu übertragen. So war es auch jetzt! Als vorderste Angriffslinie würden sie das meiste Feindfeuer abbekommen! Sie blickte zu Sir. Dieser Verrückte! Er musste wissen, wie gefährlich es war, an ihrer Seite diese Attacke zu reiten. Wahrscheinlich war er genau deshalb hier… Es war ein gutes Gefühl, ihn an ihrer Seite zu wissen.
Angestrengt spähte sie in die nebelverhangene Niederung vor ihnen. Nicht einmal den Kirchturm konnte sie erkennen! Ob Gregorius dort unten war? Hoffentlich würde er der Falle entkommen, und mochte Gott es fügen, dass sie beide nicht aufeinandertrafen! Sie hatte oft an das Gespräch denken müssen, das sie mit ihrem Onkel auf dem Kirchturm von Sankt Mauritius geführt hatte. Hatte der Feuerwerker den Preußen falsche Informationen gegeben? Wollte er damit den Verrat an ihr wiedergutmachen?
Ein lang hallender Glockenschlag erklang vor ihnen in der Finsternis. »Die Säbel heraus!«, rief Gabriela, dann gab sie Nazli die Sporen. In halsbrecherischem Tempo jagte sie in die Senke hinab. Hinter ihr folgten fast zweitausend Reiter. Wenn sie stürzte, würde sie unter den Hufen ihrer Pferde zermalmt werden.
In der Finsternis blitzte das Gewehrfeuer der Wachtposten auf. Trommelwirbel ertönte im Heerlager. Befehle wurden durcheinandergeschrien. Nazli strauchelte und fing sich wieder. Etwas Riesiges zuckte an Gabrielas Seite. In nächster Nähe krachten Schüsse. Für einen Lidschlag konnte die Husarin im Mündungsfeuer ein niedersinkendes Zelt sehen. Nazli musste sich in den Zeltleinen verfangen haben.
Ein Reiter preschte so dicht an ihr vorbei, dass sie mit den Knien aneinanderstießen. Der Mann fluchte etwas auf Ungarisch, dann hatte ihn die Finsternis verschluckt. Rings herum erklang immer lauter werdendes Geschrei. Ein Stück voraus glommen die Reste eines fast niedergebrannten Wachfeuers. Ein paar Grenadiere versuchten, sich zu sammeln und eine Abwehrlinie zu errichten. Die Hälfte von ihnen hatte nicht einmal Zeit gehabt, die hohen Mützen mit dem Blechschild aufzusetzen oder die Gamaschen anzulegen.
Gabriela wurde von dem Strom der nachfolgenden Reiter mitgerissen. Donnernd begannen die schweren Geschütze, die auf einem Hügel ein Stück weiter im Osten standen, ihr tödliches Geschäft. Granaten explodierten über dem Dorf. Gabriela war froh, dass sie ein gutes Stück von Hochkirch fort war. Dort drüben würden die Kugeln ohne Unterschied Österreicher und Preußen niederstrecken. Wie viele in dieser finsteren Nacht wohl aus Versehen auf einen Kameraden schießen würden?
Dreimal hatten sie bis zum Morgengrauen Angriffe gegen die Flanke der Preußen geritten. Jetzt durchstreifte Gabrielas Eskadron die nebeligen Niederungen nördlich von Steindörfel, um versprengte Preußen gefangen zu nehmen. Die meisten Männer, die sie aufspürten, ergaben sich widerstandslos. Nach dem nächtlichen Gefecht waren sie völlig demoralisiert. Eine halbe Stunde zuvor war Gabriela durch Hochkirch geritten und hatte die Hauptstraße des Dorfes so voller Leichen gefunden, dass es unmöglich war, sie zu passieren, ohne bei jedem Schritt auf einen toten
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