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Die Sturmrufer

Die Sturmrufer

Titel: Die Sturmrufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: blazon
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hob sie mit der Messerspitze leicht an. Amber und Inu beugten sich vor.
    »Das gibt es nicht!«, flüsterte Amber.
    »Aale, die aus Bäumen schlüpfen, gibt es auch«, erwiderte Sabin heiser. »Und Vögel, die den Sturm rufen!« Plötzlich wusste sie, was der Naj gemeint hatte. Federn und Tropfen. Luft und Wasser – Wind und Strömung. Es war ein und dasselbe. Mit klopfendem Herzen strich sie über das, was Schuppen waren – doch darunter warteten wie bei einem jungen Vogel bereits die Federn darauf, hervorzubrechen und die Flossen in Flügel zu verwandeln.
     
    *
     
    Tanijen suchte verzweifelt. Er hatte sogar Matratzen zerstochen und Balken, die hohl klangen, mit der Axt zertrümmert. Aber nichts fand sich. In dem Zimmer, das er verschloss, bevor die anderen zurückkamen, lagen die Spiegelscherben säuberlich aufgereiht. Ein Mosaik aus der Vergangenheit und Tanijen hatte längst noch nicht alle Stücke gefunden. Die Magie flirrte über ihnen, und Tanijen wurde nicht müde, sich die Szenen anzusehen, die sich immer wieder darin wiederholten. Inzwischen konnte er die Magier unterscheiden: Lemar le Hay, ein junger, dünner Mann mit dunklen Augen, in denen der Ehrgeiz brannte. Er hatte das kupferblonde Haar der Menschen vom roten Kontinent. Und auch seine Tracht – enge Hosen aus einem seidenartigen Stoff und ein gelber, schmal geschnittener Überwurf – deutete darauf hin.
    Eine junge, rothaarige Magierin – das musste Loin sein. Sie trug eine ähnliche Tracht wie Lemar, möglicherweise stammte sie von den Feuerinseln. Und zwei andere Männer, groß und breitschultrig, gezeichnet von einem vergangenen Schmerz, mit diesen dunkelblauen Augen, die nur die Inselbewohner aus dem Meerland hatten. Der Größere von ihnen hatte eine waagrechte Narbe am Hals, die sich unter seinem Ohr entlangzog. Sie trugen ganz gewöhnliches Tuch, doch die Abzeichen auf ihren Handrücken – gekreuzte Walfluken und ein Stern – wiesen sie als Magier aus Dantar aus. Solche Abzeichen hatte Tanijen nur auf Bildern gesehen, die letzten Insignien auf Buchrücken und Flaggen waren schon vor mehr als zwanzig Sommern auf dem großen Platz vor dem Haus des Fischerkönigs auf einem Scheiterhaufen verbrannt worden. Zwei Magier aus der Zeit vor den Stürmen also. Hatten sie zu den Verschwörern gehört? Waren sie vor der Hinrichtung geflohen? Stammte die Narbe am Hals von einem Strick? Und wie passten Loin und Lemar ins Bild?
    Immerhin war es Tanijen gelungen, sich eine Reihenfolge der Spiegelszenen zu erschließen. Sie spielten sich alle innerhalb weniger Tage ab. Die vier Magier hatten alles so gut geplant – Lemars Skizzen zeugten davon. Doch dann war etwas schiefgelaufen. Sie waren angegriffen worden. Das Echo – der Tote im Keller – wiederholte immer wieder die Streitworte.
    Am Tag vor seinem Tod hatte Lemar in fahrigen Sätzen auf einen Zettel geschrieben, dass er den anderen nicht mehr trauen könne. Und wie recht er damit gehabt hatte!
    Ein bewegtes Bild auf einer schmalen Scherbe zeigte Loin, die ein Schwert hochriss. Am Rand des Bildes der Schatten einer Klaue. Sie waren belagert worden. Und auch innerhalb der Wasserburg hatte es Kämpfe gegeben.
    Was hatten die Magier mit Lemar gemacht? Und die wichtigste Frage: Wo war Lemars Dolch?
    Ein Rumpeln von unten. Tanijen riss beim Aufspringen einen Stapel Bücher um. Sein Herz raste. Der Tote? Hatte er sich wieder befreit? Tanijen nahm seine Kraft zusammen und rieb seine Hände aneinander. So gut er es noch vermochte, rief er die Magie, doch je schwächer er selbst wurde, desto länger brauchte er, um sie herbeizuzwingen. Erst nach einer erschreckend langen Weile spürte er das Fließende, Weiche zwischen den Handflächen. Nun fühlte er den Toten als seltsam kühle Gegenwart, ein wirbelnder Kreis fremder Gedankenechos. Und Tanijen erkannte, dass er immer noch reglos dasaß, gefesselt, kraftlos, ohne Wut.
    Erleichtert atmete Tanijen auf und sackte auf den Knien zusammen. Seine Augen brannten von den schlaflosen Nächten. Das Fieber zehrte ihn aus. Von Tag zu Tag erschöpfte ihn der Umgang mit der Magie mehr. Er fühlte sich wie jemand, der bisher ein großes Schiff nur aus der Ferne bewundert hatte und nun plötzlich im Sturm auf dem Deck stand und ganz allein dafür verantwortlich war, dass es nicht sank. Jede Stunde stieß er an seine Grenzen und fluchte, wenn er nicht weiterkam. Ihm war eine Last aufgebürdet, die er selbst ausgeruht nur unter größter Anstrengung in der Balance zu

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