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Die Sturmrufer

Die Sturmrufer

Titel: Die Sturmrufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: blazon
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Lächeln, ein Zeichen, dass er wie früher sein konnte, dass nichts zwischen ihnen stand. Die Sehnsucht wurde so schlimm, dass er die Worte kaum herausbrachte. »Es tut mir leid, Inu«, sagte er heiser. »Ich war eingebildet und habe Seile durchschlagen, die mich hielten. Du hattest recht.«
    Das war die erste Wahrheit, die er seit Tagen gesagt hatte. Er hätte alles dafür gegeben, jetzt auch die andere Wahrheit aussprechen zu dürfen, die ganze Wahrheit über Dantar, über den Kodex, über Lemar und die anderen. Aber es war zu früh. Und es hieße, Inu und Sabin zu verlieren – für immer.
    »Schön, dass du das erkannt hast«, sagte Inu trocken und lud ihn auf dem Stuhl ab.
    »Unterhaltet euch später«, meinte Amber ungeduldig. Sie wickelte einen aufgeschlitzten Fisch aus einem Farnblatt und warf ihn auf den Tisch. »Sieh dir das an!«
    Sie redete auf Tanijen ein, erklärte ihm alles, was er aus Lemars Skizzen schon längst herausgelesen hatte.
    »Die Fische erzeugen also die Strömungen und den Sog. Und dann verlassen sie irgendwann das Meer und werden zu den Vögeln, die den Wind rufen können?«, sagte er müde. »Die doppelte Natur der Wesen. Das ist… unglaublich.«
    Jetzt sah auch Sabin aus, als würde sie ihm am liebsten eine Ohrfeige geben, um ihn aus seiner Apathie zu reißen. Inu und sie wechselten einen besorgten Blick, ein stummes Zwiegespräch, dessen Vertrautheit ihn ärgerte, dann richtete Sabin sich auf und atmete tief durch.
    »Ich höre auf den Naj. Wir können keinen Tag länger warten. Wir verlassen die Insel. Noch heute. Solange die Vögel nicht aufgeschreckt werden, ist es windstill. Das Leck ist abgedichtet, der Mast muss nur noch besser befestigt werden. Und Werkzeug und Holz nehmen wir mit. Wir haben Fässer, die wir mit Wasser füllen können…«
    »Nein!«, rief Tanijen. Beinahe hätte er hinzugefügt: Nein, es ist noch zu früh! Langsam wich die Benommenheit und er konnte wieder klarer denken.
    »Warum nicht?«
    »Wir… wir wissen immer noch nicht, wo wir sind.« Schon wieder eine Lüge. Er war nicht nur ein mittelmäßiger Taucher und ein stümperhafter Magier, sondern auch ein erbärmlicher Lügner. Umso schlimmer, dass sie ihm glaubten. Zumindest Amber und Sabin. Inu verschränkte dagegen die Arme und starrte ihn mit düsterer Miene an. Selten hatte Tanijen sich so unsicher gefühlt. Dieses stille, lauernde Misstrauen kannte er bei seinem Freund nicht.
    »Du wirst es uns auch nicht sagen können und wenn du noch so viele Truhen durchwühlst«, fuhr Sabin ihn an. »Seit Tagen schläfst du kaum und findest doch nichts. Du spürst es vielleicht nicht, aber das hier ist eine Toteninsel. Ich werde vorausschwimmen und nach den Fischen Ausschau halten. Es gibt Stellen, an denen sie sich nicht aufhalten, wir könnten es schaffen, ohne in ihren Sog zu geraten. Und sobald wir auf dem offenen Meer sind, werden wir auch nach Dantar zurückfinden. Wir haben immer zurückgefunden, wo wir auch waren, weißt du nicht mehr?« Die letzten Worte klangen sanft und berührten Tanijen mehr, als er zugeben wollte.
    »Zehn Fässer müssten als Trinkwasservorrat genügen«, stellte Amber sehr sachlich fest. »Das Süßwasserrinnsal ist nicht weit vom Strand, die vollen Fässer können wir zum Strand rollen.«
    Sabin nickte. Erstaunlich: Noch nie waren sich Sabin und das Landmädchen in einer Sache einig gewesen.
    Tanijen leckte sich über die Lippen und überlegte fieberhaft. Er brauchte einen Grund, einen guten Grund, um noch zu bleiben. Er durfte nicht… er musste…
    Erst als es still wurde, fiel ihm auf, dass Inu noch nichts dazu gesagt hatte.
    »Was meinst du, Inu?«
    Der Seiler betrachtete das Mischwesen aus Vogel und Fisch lange, bevor er antwortete.
    »Vielleicht sind sie uns gar nicht feindlich gesinnt«, murmelte er. »Möglicherweise wollten sie Sabin im Turmzimmer gar nicht angreifen.«
    »Unsinn!«, fuhr Amber ihn an. »Sie hätten mich beinahe vom Dach geworfen, schon vergessen?«
    »Warten wir bis morgen.«
    »Warum?« Jetzt war es Amber, die schrie.
    »Weil wir die Segel noch befestigen müssen und das Boot zu Wasser bringen. Und selbst wenn wir uns beeilen, das Wasser aus dem Rumpf zu schöpfen, kommen wir erst in der Nacht weg«, antwortete Inu ruhig. »Und wenn ihr euch vor den Wesen fürchtet, legt ihr sicher keinen Wert darauf, ihnen zu begegnen, während wir das Schiff beladen. Ganz zu schweigen von den Felsen, die wir bei Nacht nicht sehen.«
    Sabin biss sich auf die Unterlippe.

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