Die Sturmrufer
wieder da. Jetzt nahm sie es bewusst wahr. Der Geruch nach…
Sabin fuhr herum und erstarrte.
… Rauch! Eine helle Säule schraubte sich hinter den Klippen in den Himmel.
»Nein!«, schrie Sabin. Amber fühlte kaum, wie die Fässer aus ihren Händen glitten und sie zu laufen begann. Der Weg flog unter ihr dahin, Dornen zerkratzten ihre Fesseln. Gemeinsam mit Sabin schlitterte und rannte sie zum Strand.
Der Anblick war so vernichtend und endgültig wie ein Todesurteil in flammender Schrift.
Die Timadar brannte.
Das feuchte Holz zischte und fauchte in der Glut, der Rauch stieg in den Himmel. Flammen züngelten aus dem Schiffsrumpf, die bereitgelegten Segel brannten lichterloh. Ein greller Kontrast zum dunklen, bleischweren Meer. Als hätte das sterbende Schiff nur auf Sabin und Amber gewartet, um sich endgültig zu verabschieden, ächzte es noch einmal, bevor das Deck zusammenbrach. Der Mast kippte und verlosch zischend im Wasser.
III
D AS W ASSER
Tanijens Messer
I ch wusste es die ganze Zeit.« Sabins Stimme bebte. »Diese Wesen vom Dach sind nicht nur Tiere. Sie wissen genau, was sie tun.«
»Warum haben sie uns dann nicht längst angegriffen?«, warf Amber ein.
Sabin lachte trocken. »Wie du siehst, haben sie bessere Methoden.«
Amber schauderte wieder. Noch nie hatte sie sich so hilflos gefühlt. Die Timadar war verloren, Tanijen wirkte kränker als je zuvor, und seit sie ihre Geschichte preisgegeben hatte, kam es ihr so vor, als hätte sie ihre Waffen aus den Händen gelegt. Sie spürte, dass Sabin sie von der Seite verstohlen beobachtete, aber jedes Mal, wenn sie die Taucherin ansah, blickte Sabin weg. Sie hatte gespielt und verloren, so viel wusste sie nun. Es traf sie mehr, als sie jemals zugegeben hätte. Der nagende Schmerz einer Niederlage. Und zu allem Überfluss fühlte sie sich mehr denn je wie eine Diebin.
Der Regen schlug gegen die Wände und prasselte auf das Dach. Draußen im Hof saßen die nassen Vögel und steckten die Köpfe in das Gefieder. Durch die halb geöffneten Läden des Fensters konnte Amber den Tümpel sehen – eine matte Fläche aus beweglichen Wasserspitzen. Die Atmosphäre in der Halle war noch unangenehmer geworden, Schatten zuckten am Rand ihres Blickfelds, sie hatte ständig Gänsehaut und fröstelte. Zum ersten Mal, seit sie die Insel betreten hatte, wurde ihr bewusst, dass sie hier tatsächlich sterben konnte.
»Wir brauchen Holz für ein neues Boot«, sagte Sabin. »Diesmal bauen wir es hier – in der Burg. Erst wenn wir aufbrechen, bringen wir es zum Strand. Inu, hörst du mir zu?«
Der Seiler schrak hoch, als hätte er auf etwas anderes gelauscht.
»Was ist los mit dir?«, fuhr Sabin ihn an. »Bin ich die Einzige, die sich Sorgen macht, ob wir lebendig von dieser verfluchten Insel runterkommen? Hast du keine Angst?«
Amber schwieg, doch im Stillen gab sie Sabin recht. Seit gestern Abend wirkte Inu düster und verschlossen. Er horchte ständig auf etwas, das nur er hörte, und sah sich im Gehen um, als würde er erwarten, dass ihm jemand folgte. Würde das ihr Ende sein? Dass sie alle den Verstand verloren?
»Angst?«, sagte Inu und hob den Kopf. »Warum? Wir haben doch einen Beschützer.«
Seine Stimme wurde scharf und laut. So kannte Amber den sanften Seiler nicht. Langsam stand er auf. »Jemanden, der genug Magie beherrscht, um die Vergangenheit wachzurufen. Jemanden, der vorgibt, ein einfacher Navigator zu sein, und der keinen Wert darauf legt, die Insel zu verlassen, jemanden…«
Tanijen, der bisher auf einer Truhe gesessen hatte, sprang auf. Fiebrige Flecken leuchteten in seinem blassen Gesicht.
»Es reicht, Inu!«
»Ist es nicht so?«, erwiderte Inu unbarmherzig. Mit einer nachlässigen Geste zog er einen flachen Gegenstand unter seinem Tuch hervor. Einen Herzschlag lang bildete Amber sich ein, einen Dolch zu sehen, dunkelrot und schimmernd, aber dann erkannte sie, dass es eine Spiegelscherbe war. Und darauf bewegte sich ein Bild. Ein Gesicht erschien… die rothaarige junge Frau.
»Ich kenne sie!«, rief Amber. »Von ihr habe ich geträumt!«
»Wir alle sehen Gespenster«, erwiderte Inu düster. »Als Schatten, als Traum – aber wer hat sie gerufen? Du doch, Tanijen, nicht wahr? Du hast die Scherbe auf der Treppe verloren. Hast du noch mehr von diesem Spiegelzauber? Wolltest du die Scherben auf die Timadar schaffen, ohne dass wir es bemerken? Was verbirgst du noch vor uns?«
Tanijen war bleich wie ein Naj geworden. Er
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