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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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mir dann niemand Modell zu sitzen.« Ich hob ein Paar gefaltete Gipshände auf und hielt sie in unterschiedlicher Stellung am Fenster hoch, wies ihn auf die Veränderungen hin und wo der tiefste Schatten sein mußte. »Seht Ihr? Hier habe ich einen Kinderarm, und die da sind von Cat Hull. Ihre Finger eignen sich gut als Modell. Sie sind länger und schlanker als meine.«
    »Habt Ihr ihn geliebt, ich meine Euren Vater?«
    »Natürlich. Ihr Euren etwa nicht? Er hat mir alles gegeben; er hat mir… mich selbst gegeben.«
    »Euch selbst?«
    »Ohne meine Malerei bin ich nicht ich selbst. Ich liebe den Geruch und die Stille und die Bilder, die ich vor meinem inneren Auge sehe.« Master Ashford ging zum Fenster und zurück, dann blieb er stehen und blickte mich an. Es war ein gutes Fenster aus richtigem Glas, das in kleine, runde Fassungen aus Blei eingesetzt war, kein Leinen im Rahmen. Es war hoch und schmal, ließ aber viel Licht durch. Ich liebte dieses Fenster, liebte dieses Licht und wie es über meinen Arbeitstisch fiel. Etwas von diesem winterlichen Leuchten schien sich auch auf Master Ashfords erschöpftes Gesicht und sein abgenutztes Lederwams zu legen, und vielleicht, so dachte ich, liebe ich ihn auch. Doch irgendwie war ich noch auf der Hut, weil ich spürte, daß auch er auf der Hut war.
    »Ich bin neidisch«, sagte er. »Ich liebe meinen Beruf nicht so sehr wie Ihr Euren. Vielleicht weil ich am Ende eines Tages nichts vorzuweisen habe. Ich spiele doch nur den Laufburschen für andere.«
    »Aber die sind doch sehr hochgestellt.« Ich betrachtete seine Hände. Sie waren genau richtig, sehr kräftig und langgliedrig, und auf dem Handrücken waren die Adern zu sehen. »Master Ashford, würdet Ihr mir einen Gefallen tun? Nein, keine Schwerstarbeit wie mir den Beutel Gips nach Haus tragen.« Er blickte überrascht. »Ich habe noch keinen Abguß von einer Männerhand. Darf ich Eure abgießen? Später habt Ihr dann die Genugtuung, Eure Hände an jedem Heiligen und Lord zu sehen, den ich von nun an male.«
    »Ist das alles, was Euch an mir interessiert? Ein Händepaar? Ich kann sie Euch erst leihen, wenn ich aus dem Süden zurück bin.«
    »Ihr geht fort?«
    »Nicht für lange. Das wollte ich Euch nämlich mitteilen.«
    »Kehrt schnell zurück, wohin auch immer Ihr reisen müßt, und bringt nicht nur Eure Hände wieder mit, Master Ashford, denn ich möchte Euch gern bekochen, daß Ihr Euch den Bauch füllen könnt, und wieder in Eure Augen sehen.«
    »Ihr könnt mir glauben, mir ist Eure Gesellschaft auch lieber als die nutzlose Jagd auf einen verrückten Seemann und auf einen Fetzen Papier mit einem Geheimnis.«
    »Schon wieder ein Papier mit einem Geheimnis? Dahinter ist Crouch doch auch her. Das hat er nämlich an dem Abend zu Ludlow gesagt, als er ihn umgebracht hat. Also, eins verstehe ich nicht: Warum schreibt jemand, der ein Geheimnis wahren will, dieses dann auf? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.«
    »Er auch? Susanna, das ist der Beweis. Ich könnte schwören, er weiß, wer diese Leute sind. Seine plötzliche Reise hat einen Grund. Und wer ist dieser Signor Belfagoro? Der ist eindeutig inkognito. Niemand auf der ganzen Welt würde sich solch einen wunderlichen Namen zulegen. Aber das mag daher kommen, daß ich ihn so verabscheue, gleichwohl glaube ich, wenn ich des Rätsels Lösung gefunden habe, wird Crouch eine große Rolle dabei spielen. Ich bin dahintergekommen, daß er nichts ohne Absicht tut. Nichts, Susanna.«

    Schon wieder fiel eisiger Regen in Strömen aus einem bleigrauen Himmel. Die englischen Gesandten waren heimgekehrt, der Hof hatte Paris verlassen und war nach Saint-Germain-en-Laye gezogen. Es war Advent, und bis zum großen Fest von Christi Geburt waren es nur noch zwei Wochen. Der Herzog von Bourbon hatte seine Frau und seine Schwiegermutter und die Pferde mit dem Hof fortgeschickt und war allein in Paris zurückgeblieben, da er noch »juristische Angelegenheiten« zu regeln hätte, die seine Zeit gewaltig zu beanspruchen schienen und ihn so verbitterten, daß selbst der Argwöhnischste wußte, daß seine »juristischen Angelegenheiten« keine Ausrede waren, um eine Mätresse aufzusuchen. Bourbon war aus dem Palast von Les Tournelles in das Haus eines seiner Advokaten gezogen, eines gewissen Maître Bellier, damit er sich besser seinen geheimnisvollen Geschäften widmen konnte. Leute mit Botschaften kamen und gingen. Spät am Abend konnte man hinter geschlossenen Fensterläden

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