Die Suche nach dem Regenbogen
davon abzuhalten, meine Pflicht an dem Wesen in der Wiege zu tun, nämlich es aufzunehmen und zu stillen, denn das brauchte das knochige Wesen vermutlich. Als mich das seltsame Geschöpf nicht mit dem Blick seiner äußerst merkwürdigen, zauberisch blauen glasartigen Augen anlocken konnte, versuchte es mir mit Worten Schuldgefühle einzureden. »Mutter«, greinte es, »ach, ich bin ja so hungrig.« Doch als es den Mund aufmachte, sah ich eine Reihe ebenmäßiger, spitzer Zähne, die fast bläulichweiß glänzten und schrecklich abstoßend waren. Als ich die Arme nach ihm ausstreckte, spürte ich, wie die Dunkelheit über ihm mich irgendwie anzog, so als wollte sie mich aufsaugen, bei lebendigem Leib verspeisen. »Mutter, komm«, greinte das Dämonenkind. Irgendwie hatte die darüber schwebende dunkle Kraft mit Master Dallet zu tun, doch wie, das wußte ich nicht, auch wenn es im Traum völlig einleuchtete, daß er zu dergleichen imstande war.
»Faß es nicht an«, sagte eine tiefe, kräftige Stimme.
»Ich muß aber«, antwortete ich.
»Laß ab von dem Kind. Es hat nichts mit dir zu schaffen. Rowland Dallet hat im Leben mit verbotenen Dingen gespielt und hat etwas unvorstellbar Fürchterliches auf dich und die Welt losgelassen. Spürst du denn nicht, wie böse es ist? Wie stark es ist? Es möchte durch dich geboren werden.« Ich konnte seine Kraft spüren. Sie glich einem aufziehenden Gewitter, bei dem einem die Haare zu Berge stehen und man auf Armen und Beinen eine Gänsehaut bekommt. Die Kraft zog an mir, und darunter spürte ich ein höllisches Feuer. Da verflog jeder Gedanke, an diesem Geschöpf des Trostes, das nicht einmal einen Boten der Hölle hätte trösten können, meine Pflicht zu tun, und ich fürchtete mich sehr. Hilfe, Hilfe, schrie ich im Geist, und ich fühlte, wie etwas Warmes und Starkes mich zurückhielt.
»Halte dich fest. Hilf uns, Susanna. Du mußt es zwingen zu verschwinden.« Das kräftige Wesen, das mich vom Abgrund zurückzog, redete mit mir, und ich spürte, da war mehr als nur eins, es schien all seine Freunde herbeigerufen zu haben, weil das saugende schwarze Wesen so stark war. Im Traum war ich natürlich sehr froh, daß es da war, auch wenn ich mich Fremden im wirklichen Leben nicht so bereitwillig anvertraut hätte.
»Es soll weggehen. Warum ist es da?«
»Drei Männer haben eine fluchbeladene Kiste gefunden, doch einer von ihnen hat die hohle Büste mit nach Hause genommen, in dem das böse Wesen eingesperrt war, hat sie auseinandergenommen und es freigesetzt. Was er da freigesetzt hat, lauert noch hier, denn dieser Ort zieht es an: ein Dämon des Chaos und der Zerstörung, der dazu geschaffen ist, Unheil auf all seinen Wegen anzurichten. Jetzt will er einen irdischen Leib haben, und so hat der Dämon dir wie ein Kuckuck ein fremdes Ei ins Nest gelegt. Begreifst du denn nicht, wenn es geschlüpft ist, wirft es dich fort wie eine leere Hülle. Es zählt auf deine irregeleitete Liebe und daß du es mit deinem Leben nährst. Wir haben dir gezeigt, was es ist. Und jetzt hör auf mich, laß ab von dem Kind, ehe es dich meinem Griff entzieht.«
»Aber es ist mein…« Mit wem redete ich da? Im Traum wirkte alles logisch. Außer daß ich nicht zu schlafen schien und mir viel wirklicher vorkam als im wirklichen Leben, das zuweilen richtig langweilig sein kann.
»Du mußt von dem Kind ablassen«, sagte die Stimme, und sie vibrierte wie die tiefste Glocke im Kirchturm von St. Paul's. Wechselnde Farben erhellten für einen Augenblick das Zimmer, und ich sah eine Säule aus strahlendem Licht, die durch das Dach und viele Meilen hoch in den Himmel ragte. Irgendwie hatte die Säule eine menschliche Gestalt. Und dazu ein schönes Gesicht, dunkel und leuchtend, und sie hatte Flügel, die sich zum Himmel reckten. Ich war verwirrt, und mein Herz hämmerte vor Entsetzen. Doch ich nahm allen Mut zusammen und machte erneut den Mund auf. »Wenn ich von ihm ablasse, was bleibt mir dann? Nichts, gar nichts.«
»Nichts?« kam die Stimme. »Nein, etwas doch. Sieh dir das hier an.« Langsam fuhr das Strahlenwesen mit der Hand über den nächtlichen Himmel. Wo die Hand vorbeikam, war kein sternenschimmernder Himmel mehr, sondern hochsommerliches Blau. Ein großer leuchtender Regenbogen spannte sich über den Himmel. »Der gehört dir, wenn du ihn mit den Händen einfangen kannst«, sagte das rätselhafte Geschöpf.
»Aber wie? Ich kann das nicht. Ihr wißt, ich bin noch nie gut im Rätselraten
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