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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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sorgen wie für eine Königin, was er später aber vergaß. Und jetzt bedeutete das Kind, das mir im Kummer Trost und Freude sein sollte, meinen Tod, machte meine Knöchel so dick wie Baumstämme und mein Gesicht im Spiegel so grobschlächtig und aufgedunsen, daß ich nicht einmal auf der Totenbahre schön aussehen und niemand sich ob dieser schrecklichen Tragödie grämen würde. Häßlich zu sterben ist ungerecht, ach, so ungerecht.
    Ich wollte nicht sterben. Mein ganzer Körper sagte, ich will leben, leben. Ich spürte, wie etwas Dunkles, völlig Nacktes, Klammes und Kaltes mich niederdrückte und in seiner Schlechtigkeit auf mir lastete. Im Geist rief ich mit der ganzen Kraft meiner Seele Hilfe ! Vor meinen Augen verschwamm alles. Die Kopfschmerzen machten, daß mir das Blut in den Ohren rauschte, doch dann hörte ich ein merkwürdiges Rascheln. Ein mildes Licht erhellte das Zimmer, als wäre jemand in den Raum getreten, wie beim Malen der Schwindel-Miniatur, die ich sündiger Mensch so unbedingt hatte machen wollen. Ich war todmüde, und als ich vor Erschöpfung einschlief, da sagte etwas: »Wir sind ja hier.« Nein, seid ihr nicht, antwortete ich im Geist. Hier ist niemand mehr, nur ich und Nan und der Knochenmann. Niemand.

Kapitel 4
    W as meine Mutter träumte, ging immer in Erfüllung, und das ist etwas, was nur wenigen gegeben ist, obschon manch einer es mit seltsamen Elixieren versucht, die dem Körper schaden. Vor meiner Geburt, als mein Vater mit einem Fuß im Schuldturm stand, träumte sie von einer Schatzkiste auf einem Schiff. Und siehe da, am nächsten Tag traf von jenseits des Kanals ein Brief ein, in dem Vater gebeten wurde, nach England zu reisen und die Wandbilder der königlichen Kapelle in Sheen zu restaurieren, denn dort hatten Hände und Gewänder der Gläubigen die Heiligen bis auf Köpfe und Schultern abgerieben. Das war ein großes Glück für meine Eltern, die packten und flohen, und ihre Gläubiger immer drei Schritt hinter ihnen her. Und obschon mein Vater sich beklagte, das Restaurieren von Heiligensteißen sei unter seiner Würde, trug es ihm dennoch den Ruf eines geschickten Kunsthandwerkers ein, und so fehlte es ihm später nie an hochstehenden Gönnern, und das kommt einer Schatzkiste gleich, auch wenn es nicht so aussieht. Was wieder einmal beweist, daß man Träume nicht einfach für bare Münze nehmen darf, auch wenn sie in Erfüllung gehen, sondern sie als Zeichen auffassen und darüber nachdenken sollte, denn Zeichen sind nicht immer klar und deutlich.
    Bis zu jenem Tag waren mir die wahren Träume meiner Mutter nicht gegeben gewesen, doch ich muß gestehen, daß ich einmal einer alten Frau in einem Laden in der Nähe von der Goldsmith's Lane ein Pulver abkaufte, das mir angeblich Träume von einem künftigen Ehemann bescheren würde. Ich träumte von einem äußerst gutaussehenden Mann mit kräftigen Händen, auf denen die Adern hervortraten, doch funkelnde braune Augen hatte er nicht, und obendrein bekam ich davon Kopfschmerzen, und so warf ich das Pulver weg. Doch in der Nacht, als man Rowland Dallets blutigen Leichnam nach Haus brachte, hatte ich einen entsetzlichen Traum, der mir so ungemein wirklich vorkam, als träumte ich überhaupt nicht, sondern als geschähe alles wirklich.
    In meinem Traum wachte ich auf und sah, daß das Kind, das ich noch in mir trug und das mein Trost in einem sehr tragischen Leben sein sollte, bereits geboren war. Doch an Stelle eines winzigen Neugeborenen war das Kind ein großer, häßlicher Junge von ungefähr zwei Jahren, knochig und bleich, mit strähnigem, dunklem Haar und kaum das, was man sich gemeinhin unter einem Trost vorstellt, denn dann hätte er hübscher aussehen müssen. Er lag zusammengekrümmt in der Wiege neben meinem Bett, in die er mit seinen seltsam langen, knubbeligen Beinen kaum hineinpaßte. Seine riesigen Augen, gleichsam glühende Eulenaugen, schlugen mich in einen gräßlichen und unbeschreiblichen Bann, selbst wenn ich solche Augen im wirklichen Leben sehr abstoßend finden würde. Uber ihm und rings um ihn schien das Böse wie ein dunkler Schatten zu lauern.
    Der große, knochige Wechselbalg wimmerte im Dämmerschein, und ich wußte, ich mußte ihn aufnehmen, da ich seine Mutter war, und außerdem war er so häßlich, daß er mir wiederum leid tat, obschon es mir lieber gewesen wäre, er hätte jemand anders gehört. Und als ich dann aufstehen wollte, schaffte ich es nicht, etwas schien mich niederzudrücken, mich

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