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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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der alte Drachen hatte Geld, und wir brauchten ein Bett, um das zu ersetzen, was man uns weggenommen hatte. Hier hilft die Phantasie weiter, und daher ist es gut, daß ich soviel habe, denn ohne sie hätte ich mir diese Frau niemals jung vorstellen können, aber es gelang mir.
    Zunächst übermalte ich ihr Doppelkinn in einem gefälligen Grauviolett und setzte ein paar Glanzlichter auf die neue Kinnlinie, die ich bei der Prinzessin abkupferte, die eine sehr hübsche hatte. Dann versetzte ich das Glanzlicht auf ihrer Nase, so daß sie weniger pferdeartig wirkte, ohne sie jedoch zu verkürzen, denn das wäre ihr vielleicht aufgefallen. Darauf legte ich eine weitere Lasur über das ganze Gesicht und milderte die Falten. Allmählich machte mir die Arbeit auch Spaß, denn irgendwie erschuf ich einen völlig neuen Menschen, verlor dabei aber jegliches Schamgefühl. Dann beschloß ich, ihren Schmuck üppiger und glänzender zu malen und ihr Seidenkleid noch mehr schimmern zu lassen, denn in Schmuck war Dallet schlecht gewesen, und seine Kleider sahen immer aus, als stammten sie allesamt von demselben Schneider, nur andersfarbig. Aber wie seltsam, während ich arbeitete, wurde ich das Gefühl nicht los, daß mir jemand über die Schulter schaute, auch wenn mich das nicht weiter störte. Und war da nicht ein Geräusch, ein leises Lachen, eine Art liebliches Glockengeläut? Nein, das konnte nur ich sein.
    Mittlerweile machte mir die Arbeit sehr viel Spaß, und ich hatte mir die Ärmel aufgekrempelt wie eine Hausmagd, der Saum meines alten Rocks war überall mit Farben bekleckert, aber glücklicherweise handelte es sich nicht um meinen besten. Die Nase juckte mir, ich fuhr mit dem Handrücken darüber, damit ich sie nicht auch noch bemalte, dann lehnte ich mich zurück und betrachtete mein Werk. Es war sehr gut. Das Auge hatte ich nicht verändert, damit sie sich auch ja wiedererkannte, aber mehr war auch nicht geblieben. Ich hatte kaum noch Licht und war ganz steif vom langen Sitzen auf dem kleinen Schemel, daher ließ ich ab, denn die Lasur konnte bis zum nächsten Tag trocknen, stand auf, reckte mich, warf einen Blick aus dem Fenster und fühlte mich wohl. Als ich mich umdrehte, hörte ich etwas flitzen und erblickte etwas höchst Merkwürdiges. Ein kleiner, rosiger, nackter Kinderfuß schien in der Wand zu verschwinden, doch vielleicht spielte mir auch das abnehmende Licht einen Streich.
    Nan war auf einen Plausch unten bei der Witwe Hull, daher hatte ich Zeit zum Nachdenken. Draußen war es Frühling, mit Blumen und Vögeln, aber auch mit ekelhaften Gerüchen, denn die Rinnsteine erwärmen sich und stinken, was wieder einmal beweist, daß alles seine zwei Seiten hat, eine gute und eine schlechte. Das Zwielicht wollte den letzten goldenen Schein vom Himmel verdrängen. Aus dem Brauhaus gegenüber drang lauter Gesang und Frauengelächter, und drei Männer versuchten, einen Betrunkenen nach Haus zu schaffen, doch da alle betrunken waren, gelang es ihnen nicht besonders gut.
    »He, seht mal die Frau da im Fenster. Die hat ja eine blaue Nase.«
    »Halt den Mund, du Dummkopf, du bist blau. O weh, jetzt habt ihr ihn fallen lassen.«
    »Blau, ich sag's doch.«
    Ich zog den Kopf ein und lief zum Spiegel. Ein großer blauer Streifen quer über der Nase. Ich erschrak. Das merkt er. Und dann sagt er wieder, ich bin häßlich. Und er schlägt mich, weil ich seine Utensilien benutzt habe. Dann fiel es mir wieder ein. Das kann er ja nicht mehr. Ich lachte. Vielleicht wische ich die Farbe nicht weg, dachte ich, nur um zu beweisen, daß ich sogar eine blaue Nase haben kann, wenn mir danach ist. Ich goß jedoch etwas Terpentin auf einen Lappen und säuberte sie lieber, denn morgen ging es vielleicht noch schwerer ab, und angenommen, ich mußte zum Markt? Also setzte ich mich hin und dachte beim Säubern über Gut und Böse nach, denn das ist wie eine Waagschale und nur gerecht und gehört alles zusammen. Ich meine, einerseits ist es schlecht, arm zu sein und keine Möbel zu haben, aber andererseits ist es gut, Freunde und Hoffnung zu haben. Und da Master Dallet nicht mehr da war und Mistress Hull keine gehässigen Blicke mehr zuwarf und sich nicht mehr über die Gemälde ihres Mannes lustig machte, konnten wir Freundinnen sein.
    »Abendessen, Abendessen!« rief Nan von unten hoch, denn jetzt aßen wir alle in der Küche, machten gemeinsame Haushaltskasse und konnten daher besser leben.
    »Pfui, du stinkst nach Terpentin. Was hast du da im

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