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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Geschmiere, und meine Hände und mein Gesicht waren voll Zeichenkohle, abgesehen von den Stellen, wo die Tränen liefen. Mir war zumute, als müßte ich ersticken, und so steckte ich den Kopf aus dem Fenster, um frische Luft zu schnappen, und da lag ein widerlicher Betrunkener in der Gosse vor dem Brauhaus ›Zur Ziege und zum Krug‹ und rief: »He, Schätzchen, was treibst du da oben? Hast du den Schornstein gekehrt? Laß mich deinen Schornstein kehren.« Ich war so zornig, daß ich hinging, den Nachttopf holte und den Inhalt durch das Fenster auf ihn entleerte, doch ich traf ihn nicht, und er lachte und war noch immer trocken, abgesehen von dem Teil, der im Rinnstein lag. Allmählich bin ich die ›Ziege und den Krug‹ leid und hätte nichts dagegen, wenn man sie schließen und daraus ein Freudenhaus machen würde. Ihr Ale ist übrigens auch ungenießbar, und wenn wir gutes haben wollen, müssen wir bis zum ›Einhorn‹ gehen.
    Als ich den Mann, alle viere von sich streckend, in der Gosse liegen sah, da kam mir der Gedanke, wenn er nackt wäre, könnte ich die Proportionen richtig hinbekommen, denn genau die stimmten auf meinen Zeichnungen nicht. Und schon wieder mußte ich Gott um Vergebung bitten, weil ich mir einen Mann nackt vorgestellt hatte, der es in Wirklichkeit gar nicht war. Ich würde ja die Jungfrau Maria um Vergebung bitten, doch der wäre das gewiß peinlich. Und dabei hatte ich mir einmal eingebildet, ich könnte mein Leben nach ihrem ausrichten, doch das stellte sich als unmöglich heraus. Außerdem könnte jemand so Wundersames und Feines wie die Heilige Jungfrau unmöglich etwas so Stinkendes und Schmieriges wie Farbe ertragen. Ich mag jedoch den Geruch von Farbe. Nichts macht mich glücklicher.
    Bei dem Gedanken, wie gern ich male und wie ungern ich Fußböden schrubbe, kam mir eine großartige Eingebung. Ich hatte doch ein Aktmodell, von dem ich die richtigen Proportionen bekommen konnte, und das war hier mit mir im Zimmer, oder? Nun habe ich zwar keinen so vollkommenen Körper wie Eva, doch Eva war auch nicht vollkommen, und daher war es erlaubt. Ich versperrte also die Ateliertür mit einem Schemel, schloß die Fensterläden, entkleidete mich und stellte mich vor die getünchte Wand. Dann markierte ich die Proportionen mit Zeichenkohle unmittelbar auf der Wand, was an manchen Stellen wirklich nicht leicht war. Ich machte eine Seitenansicht und eine Vorderansicht und staunte nicht schlecht, weil die Beine ganz woanders eingesetzt waren, als ich gedacht hatte. Blieb nur noch die Hälfte des Problems, denn Männer sehen anders aus als Frauen, und ich habe, glaube ich, schon erwähnt, daß Master Dallet in dieser Hinsicht nicht viel nutze war, und außerdem war er tot.
    Ich hatte mich so in das Problem vertieft, daß ich einfach dastand und vergaß, mich wieder anzukleiden, was nun wirklich unzüchtig ist, doch ich war mit meinen Gedanken ganz woanders. Mir schien, ich konnte das Problem mit Adam dadurch lösen, daß ich alle Teile, die ich nicht zeichnen konnte, unter Blättern oder hinter einem Baumstumpf verbarg, da Mönche ohnedies nur an Eva interessiert sind. Und da kam mir eine prächtige Eingebung zu einem Gemälde, und so wurde die Idee zu Adam und Eva im Garten Eden badend geboren, das ich dann als erstes verkaufte. Adam ist bis zur Taille im Wasser, und man sieht ihn nur in Rückenansicht, wie er Eva anstarrt, und Eva räkelt sich auf einem großen Felsen, wringt ihr langes Haar aus und macht einem Zuschauer hinter Adam schöne Augen. Und eine große, gefleckte Schlange mit sehr lüsternem Gesicht hängt von einem Baum herunter, denn darauf scheint es bei diesen Gemälden anzukommen. Es war eine Eingebung, die mich so erregte, daß ich mich hinsetzte und fast schon die ganze Rohzeichnung fertig hatte, als ich Nan an die Tür klopfen und hämmern hörte.
    »Susanna, was um Himmels willen treibst du da drinnen?« rief sie.
    »Ich zeichne Eva!« antwortete ich laut, doch dann ging mir auf, daß ich völlig unbekleidet war, was sich nicht schickte und aufhören mußte.
    »Warum um Himmels willen hast du die Tür zugesperrt?« fragte Nan, als ich ihr aufmachte. Zugegeben, ich muß ziemlich komisch ausgesehen haben, denn mein Mieder war verkehrt geschnürt und mein Gesicht noch immer schwarz. »Du liebe Zeit, du siehst ja wie ein Schornsteinfeger aus!« rief sie.
    »Es ging nicht anders«, sagte ich. »Eva und Adam machen viel mehr Arbeit, als ich dachte. Sie sind wirklich schrecklich

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