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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Natürlich unterliegen auch Könige dem Besitzer des Geheimnisses! Jetzt begreife ich alles! Es handelt sich um das Geheimnis, hinter dem der verfluchte Crouch her ist. Aber warum sollte er Herrscher der Welt werden, wenn ich das sein kann? Er hat die Mitte, hol ihn der Teufel! Er ist als erster im Haus des Toten gewesen!«
    »Kommt, kommt, Master Ludlow, es führen auch andere Wege zu dem Geheimnis. Gerade haben wir einem ausländischen Kuriositätenhändler ein seltenes allegorisches Gemälde des berühmten toten französischen Meisters Fouquet…«
    Ich hatte genug gehört. Auf Zehenspitzen ging ich zur Hintertür hinaus und trat auf die Gasse. Ich hatte viel zu lange verweilt, und Londons Straßen wurden in der Abenddämmerung unsicher. Die Augen geradeaus gerichtet, hastete ich auf die Straße und nach Haus. Hinter mir vernahm ich Schritte. Es hörte sich an, als folgte mir jemand von der Gasse her. Entsetzt blickte ich mich um.
    »Mistress, Mistress, wartet.« Außer Atem holte mich der Lehrjunge ein. Er hatte noch immer die schwere Eisenstange in der Hand, und in seinem Gürtel steckte ein Messer. »Ich begleite Euch nach Haus«, sagte er. »Ihr seid zu lange geblieben. Die Straßen sind voller…« Auf einmal zupfte er mich am Ärmel und gebot mir stehenzubleiben. Der Advokat eilte mit wütender Miene die Straße entlang. In dem kühlen violetten Licht trat eine Gestalt unter dem Vorsprung eines hohen Hauses hervor. Ihre Züge konnten wir nicht ausmachen, doch das war auch nicht nötig. Der mächtige, kugelrunde Leib war gespenstisch vertraut.
    »Ludlow, ich habe auf Euch gewartet. Wie Ihr wißt, finde ich es unverzeihlich, wenn man sich nicht an Vereinbarungen hält. Habt Ihr es bei Euch?«
    »Ich habe keine Ahnung, was Ihr meint.«
    »Das Manuskript. Ihr habt es Ailwin gebracht. Was würde Euch sonst hierherführen. Ihr habt dem Kapitän den Brief geschickt. Ihr wart als erster im Haus des Malers und habt seine Habe an Euch genommen…« Mit wachsendem Entsetzen begriff ich, was ich da hörte. Er konnte nur Captain Pickering meinen. Es konnte nur mein Haus sein, das das Geheimnis barg. Mir war, als hörte ich etwas in der Gasse flattern wie eine Riesenmotte, und ich verspürte eine Kälte, als wäre ein Dämon zugegen. Nein, das konnte nicht sein. Es mußte mein hämmerndes Herz sein.
    »Ich weiß nicht, was Ihr meint. Ich war im Auftrag eines Kunden dort, das ist alles…« Der Kopf des Advokaten schien hin- und herzuschnellen, als wollte er einem Geräusch nachspüren.
    »Ihr habt es, Ludlow. Ihr habt es bei Euch. Beide Teile. Und jetzt wißt Ihr, warum ich es haben will.« In der violetten, nach Sommer duftenden Luft über mir konnte ich ein ersticktes, schrilles, erregtes Quietschen wie von einer Fledermaus hören. Ein böses, hämisches Wesen schien auf dem Wasserspeier über uns zu hocken.
    »Ich habe sie nicht, Ehrenwort. Ihr wollt doch die Mitte haben. Ich habe sie nicht. Mein Teil ist wertlos, wertlos, Ehrenwort…«
    »Spürt Ihr das hier, Ludlow? Acht Zoll spanischer Stahl dicht an Eurer Leber. Wenn Ihr nicht aufgespießt werden wollt, so kommt mit in diese Gasse, wo uns keine Vorbeigehenden in unserer kleinen Unterhaltung stören.« Ich merkte, daß Toms Arm mich gegen die Mauer des Ladens in den Schatten drückte, während der Advokat die immer dunkler werdende Gasse betrat und gleich hinter ihm die kugelige Gestalt von Sir Septimus Crouch, der ihm den Arm um die Schulter legte wie ein guter Freund.
    »Ich habe die Mitte nicht, Sir Septimus. Ich – ich konnte sie nicht bekommen. Hier – nehmt meinen Teil – gratis, umsonst. Als – als Unterpfand unserer Freundschaft.« Der Advokat griff in sein Gewand und hielt dem Antiquar eine Art Bündel hin.
    »Als Unterpfand des Eides besitze ich jetzt Eure – Seele –« Ein schauerlicher Schrei, und der Advokat fiel zu Boden. Schnaufend beugte sich der Antiquar über den Stöhnenden und durchsuchte seine Kleidung mit behandschuhten Händen. »Verschwunden! Nicht da! Hinterlistiger Hundsfott, wo habt Ihr die Mitte versteckt? Daheim? Bei meiner Ehre, ich werde sie finden, und wenn ich bis ans Ende der Welt gehen müßte.« Rasch schnitt er dem Advokaten die Börse vom Gürtel, verließ dann leise die Gasse und entschwand unseren Blicken. Der Horizont war jetzt tiefrot gesäumt, und die ersten Sterne traten heraus. Wie seltsam, wie furchtbar, an solch lieblichem Sommerabend zu verbluten. Hatte das der Fluch bewirkt? War es irgendwie meine Schuld? Was

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