Die Suche nach der Sonne
Unwirklichkeit, die das gesamte Team als beunruhigend empfand.
Ancor kämpfte gegen die Lähmung seiner Gedanken durch den Anblick der Ebene an und riß sich schließlich vom Beobachtungsfenster weg, um sich auf die Aktivitäten des Bordcomputers der Shellback zu konzentrieren. Wie Land-a versprochen hatte, sammelten und verarbeiteten die Instrumente und Sensoren bereits alle erhältlichen physikalischen Daten. Die Schirme füllten sich langsam mit den Zahlenreihen, die nichts anderes als eine mathematische Darstellung der fremdartigen Umwelt unter ihnen war, befreit von subjektiver menschlicher Wahrnehmung. Plötzlich ging Ancor auf, warum Land-a nicht einfach nur eine instrumentenbestückte Sonde, sondern auch eine Mannschaft zum Zentrum Solarias geschickt hatte: Zahlenkolonnen können ihre eigenen Geschichten erzählen, aber nur Menschen konnten Gefühle vermitteln.
Man hatte den Durchmesser der Käfigwelt auf knapp 13.000 Kilometer berechnet, während die Öffnung im Kraterrand Han-sa-Arims ungefähr 8000 Kilometer maß. Das deutete daraufhin, daß M13 tatsächlich vollständig in dem Zwischenraum der Mars-Schale ›eingesperrt‹ war. Maq hatte Cherry angewiesen, die Geschwindigkeit zu reduzieren, als sie den Kamm der Bergkette überflogen und sich damit aus der Reichweite der Raketen begeben hatten. Sie flogen jetzt nur noch mit ein paar hundert Stundenkilometern. Damit hatten sie eine bessere Chance, etwas zu erspähen, von dem Ancor sicher war, daß es auf dieser nichtssagenden Ebene existieren mußte. Aus ihrer gegenwärtigen Höhe konnten sie bis auf eine leicht gekrümmte Linie am ›Horizont‹ keine Einzelheiten erkennen. Maq gab Anweisung, Kurs auf die Linie zu nehmen, und nahm vor den Bildschirmen Platz. Er stellte die Darstellung auf maximale Vergrößerung ein und suchte sorgfältig die Landschaft unter ihnen ab.
Sine Anura kam zu ihm. In den Zügen seines Löwengesichts zeichnete sich Konzentration ab. Es ärgerte sie, daß er sie gar nicht wahrzunehmen schien.
»Wonach suchst du, Maq?«
»Nach Antworten. Wußtest du, daß dieser ganze Berg an sich nicht existieren dürfte? Es gibt kein Material, das den Druck eines 1600 Kilometern hohen Gebirges aushält, auch nicht in komprimierter Form. Unter diesem Druck würden Felsen wie Wasser davonfließen, und das Ganze würde unter seinem eigenen Gewicht zusammenbrechen. Aber irgendwie müssen sie es angestellt haben.«
Sine Anura schlenderte zurück zur Beobachtungskuppel. Sie konnte seine Unruhe nicht nachvollziehen. Was sie anging, bedurfte ein 1600 Kilometer hoher Berg mit einem Durchmesser von über 15.000 Kilometern keiner Erklärung. Er war einfach ein Teil der Wirklichkeit, so faßbar wie die Mars-Schale und die Proto-Sonnen über ihnen.
Schließlich sagte Ancor: »Ah!« In seiner Stimme schwang Triumphgefühl mit. »Dachte mir, daß es das sein könnte!«
Sie blickte zu ihm hinüber, aber von ihrem Standort aus ergaben die Schirme keinen Sinn, und Ancor hatte die Kameras so ausgerichtet, daß sie automatisch den Objekten seines Interesses folgten. Dann kam er zur Beobachtungskuppel und stellte sich neben sie. Sie streckte die Hand nach ihm aus und versetzte seinem unbedeckten Arm einen schwachen, neckenden Schlag. Sie konnte es nicht leiden, wenn man sie ignorierte. Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, und er zog sie an sich, um ihr tief in die Augen zu sehen. Aber in seinen Augen spiegelte sich nur der große, weiße Rand Han-sa-Arims und das große Loch, das in eine andere Welt führte. Die vielen tiefschürfenden Gedanken, die in seine Züge geschrieben waren, verrieten heftigere und bleibendere Leidenschaft, als sie jemals in ihm ausgelöst hatte.
Dann kamen sie an den Rand des Lochs, und der Anblick raubte allen den Atem. Eingehüllt in weiß, grau und grün hing vor ihnen die Käfigwelt M13; eine friedliche Murmel, die scheinbar tief in die Bergspitzen eingelegt war. M13 war eine große Halbkugel, auf der sich Meere und Kontinente abzeichneten, und die an allen Seiten in die Öffnung der Mars-Schale eingeschlagen war. Nur 2000 Kilometer trennten sie von der Mars-Schale: der legendäre Zwischenraum, der ihnen als Durchgang zum Zentrum Solarias dienen sollte.
Cherry steuerte das Schiff Maqs Anweisungen folgend geschickt zur Kante des Kraterrands, während Ancor sich vor den Computer setzte und die Zahlenreihen, die über die Bildschirme huschten, im Auge behielt. Im Augenblick zeigten die Instrumente lediglich das
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