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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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was er heute ist. Und Arbuthnot wusste nicht, was er damals war - eine Art Assistent, hat Arbuthnot gesagt. Ich habe Mr. Beasley aufgetragen, die Aussage zu suchen«, fügte Hal abrupt hinzu. »Sie ist nicht zu finden.«
    »Geheim? Oder vernichtet?«
    »Ich weiß es nicht. Er konnte niemanden finden, der auch nur zugegeben hätte, das Dokument gesehen zu haben.«
    Und doch war diese Aussage die Basis für den Haftbefehl gewesen, der gegen Gerard Grey, den ersten Herzog von Pardloe,
ausgestellt worden war. Den Haftbefehl, der niemals ausgeführt worden war.
    »Himmel.« Sie waren stehengeblieben, und jetzt, da ihm kein Luftzug mehr das Gesicht kühlte, wurde Grey plötzlich übel. »Ich glaube, ich muss mich übergeben.«
    Das tat er. Eine Minute lang blieb er vornübergebeugt stehen, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, und atmete schwer. Doch es hatte geholfen, seinen Magen zu entleeren; ihm wurde zwar ein wenig schwindelig, als er sich wieder aufrichtete, doch sein Kopf schien jetzt klarer zu sein.
    »Du hast gesagt ›Vater definitiv nicht‹. Meinst du - oder meint er - damit, dass Vater Jakobit war , Arbuthnot ihn aber nicht denunziert hat? Oder dass er doch kein Jakobit war?«
    »Natürlich war er kein Jakobit«, sagte Hal wütend. »Worauf willst du hinaus?«
    »Nun, wenn er keiner war - und du das mit Sicherheit weißt -, was willst du dann von den Jakobiten in Frankreich?« Er starrte Hal an, dessen Gesicht im Mondschein kreidebleich war, seine Augen dunkle Löcher.
    »Er ist kein Jakobit gewesen«, wiederholte Hal hartnäckig. »Es ist - es ist nur… warte.« Er schluckte sichtlich, und Grey konnte den Schweißfilm auf seiner Stirn sehen.
    Grey nickte und setzte sich auf ein Mäuerchen. Er versuchte, die Würgegeräusche zu überhören; sein eigener Magen hatte sich ebenfalls noch nicht ganz beruhigt, und er fühlte sich blass und klamm.
    Nach ein paar Minuten kam Hal aus dem Schatten zurück und ließ sich neben ihm auf die Mauer plumpsen.
    »Diese verdammten Muscheln«, sagte er. »Man sollte in einem Monat ohne ›r‹ keine Muscheln essen, das weiß doch jeder.« Grey nickte und verzichtete darauf anzumerken, dass es März war. Sie saßen eine Weile still, und der kühle Wind trocknete den Schweiß auf ihren Gesichtern.
    »Du hättest es mir sagen können, Hal«, sagte Grey leise. Sie saßen auf der Mauer eines Kirchhofs, und der Schatten der Kirche tauchte sie in Dunkelheit. Er sah Hal nur noch als verschwommenen
Umriss, doch er konnte ihn spüren und ihn atmen hören.
    Zunächst antwortete Hal nicht, doch schließlich sagte er: »Dir was sagen können?«
    »Dass Vater ermordet worden ist.« Er schluckte und schmeckte Wein und Galle. »Es - es wäre schön gewesen, wenn ich mit dir darüber hätte sprechen können.«
    Er spürte, wie Hal das Gewicht verlagerte, als sein Bruder sich ihm zuwandte.
    » Was hast du gesagt?«, flüsterte Hal.
    »Ich habe gesagt, warum konntest du mir nicht sagen … oh. Oh, Gott.« Er bekam weiche Knie, als er - zu spät - das Entsetzen in der Frage seines Bruders registrierte. »Himmel, Hal. Du hast es nicht gewusst ?«
    Sein Bruder war mucksmäuschenstill.
    »Du hast es nicht gewusst«, beantwortete sich Grey seine Frage mit bebender Stimme selbst. Er wandte sich Hal zu und fragte sich, woher die Worte gekommen waren; er war völlig atemlos. »Du hast gesagt, er hätte sich umgebracht. Ich dachte, du wüsstest Bescheid. Ich dachte, du hättest die ganze Zeit Bescheid gewusst.«
    Er hörte, wie Hal langsam Atem holte.
    »Woher weißt du das?«, sagte Hal nun sehr ruhig.
    »Ich war dort.«
    Seine Ohren rauschten, als er von jenem Sommermorgen im Wintergarten erzählte, von dem Geruch nach zerschmettertem Pfirsich. Er hörte das Echo des ersten Mals und spürte Percy warm an seiner Seite.
    Irgendwann dämmerte ihm, dass Hals Gesicht tränennass war. Dass er selbst ebenfalls weinte, bemerkte er erst, als Hal mechanisch in seinen Ärmel griff, ein Taschentuch herauszog und es ihm reichte. Ohne recht zu merken, was er tat, wischte er sich das Gesicht ab.
    »Ich dachte - ich war mir sicher, dass Mutter es dir gesagt hatte. Und dass ihr dann gemeinsam zu dem Entschluss gekommen seid, dass ich es nicht wissen sollte.«

    Hal schüttelte den Kopf hin und her wie ein Automat; Grey spürte es mehr, als dass er es sah, obwohl er die Bewegung wahrnahm, mit der sich Hal achtlos die Nase am Ärmel abwischte. Grey huschte der Gedanke durch den Kopf, dass er Hal seit dem Tod seiner

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