Die Sünde der Brüder
wie Mr. A.’s Besucher … oder falls er überhaupt existierte. Genauso gut war es möglich, dass der Mann tatsächlich existierte und Percy seinen Namen wusste , dass er Grey aber zwingen wollte, ihn erneut zu besuchen, um ihn zu erfahren. Sein Brief deutete mit keinem Wort darauf hin, dass er Grey im Austausch für seine Hilfe weitere Informationen zu bieten hatte, doch es klang deutlich darin mit.
»Fehlt Euch etwas, Mylord?« Tom Byrd blinzelte ihn skeptisch an. »Euer Aussehen ist das, was meine Mutter biliös nennen würde. Sollte man Euch vielleicht zur Ader lassen?«
Grey fühlte sich ausgesprochen »biliös«, bezweifelte aber, dass ihm ein Aderlass helfen würde. Andererseits …
»Ja«, sagte er abrupt. »Bitte fragt Dr. Protheroe, ob er mich so schnell wie möglich aufsuchen kann.«
Tom, der es nicht gewohnt war, dass Grey seine medizinischen Ratschläge annahm, wirkte im ersten Moment total verblüfft, doch dann erhellte sich seine Miene.
»Auf der Stelle, Mylord!« Hastig stopfte er das Hemd, das er gerade flickte, in die Truhe und schlüpfte in seinen Rock, blieb dann aber am Eingang stehen, um Grey einen weiteren Rat zu geben.
»Falls Ihr vor dem Eintreffen des Arztes das Gefühl habt, das Blut könnte Euch aus der Nase platzen, presst Euch einen Schlüssel in den Nacken, Mylord.«
»Einen Schlüssel? Wozu denn das?«
Tom zuckte mit den Achseln.
»Ich weiß es nicht, aber das macht meine Mutter bei Nasenbluten.«
»Ich werde es nicht vergessen«, versprach Grey. »Geht!«
Nachdem Tom gegangen war, stand er in der Mitte des Zeltes und hätte am liebsten mit Gegenständen um sich geworfen, konnte aber nichts Zerbrechliches entdecken außer seinem Rasierspiegel, von dem er sich nicht trennen wollte.
Er war sich nicht sicher, inwiefern seine Wut durch diesen erneuten Beweis für Percys Durchtriebenheit ausgelöst wurde - hatte ihm dieser doch sein Wissen vorenthalten -, und inwiefern durch Percys Entdeckungen. Kein Zweifel bestand jedoch daran, dass ihm das Blut durch den Kopf donnerte. Er ging sogar so weit, sich unauffällig an die Nase zu fassen, entdeckte aber keinerlei Hinweise dafür, dass gleich das Blut daraus hervorspritzen könnte.
»Was machst du denn da?« Hal stand im Zelt, die Eingangsklappe in der Hand, und betrachtete ihn verwundert.
»Gar nichts. Lies das.« Er drückte seinem Bruder den Brief in die Hand.
Hal las ihn zweimal durch; Grey stellte mit grimmigem Interesse
fest, dass Hal rot wurde und auf seiner Stirn eine Ader zu pochen begann.
»Dieser kleine Mistkerl!« Hal ließ die Blätter auf den Tisch fallen. »Kennt er den Namen des Arztes?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nicht. Du kannst ihn gern fragen gehen; ich tue es nicht.«
Hal grunzte und betrachtete erneut den Brief.
»Glaubst du, es ist etwas Wahres daran?«
»Oh, ja«, sagte Grey grimmig. »Möglich, dass er den Namen absichtlich verschweigt, aber ich sehe keinen Grund, warum er das Ganze erfinden sollte. Was sollte ihm das nützen?«
Hal zog nachdenklich die Stirn in Falten.
»Höchstens, uns zu sich zu locken - um noch einmal direkt um Hilfe zu bitten, in der Hoffnung, dass ein persönlicher Appell wirksamer ist als ein Brief.«
»Aber wir können ihm doch keine Hilfe bieten - oder?« Grey war sich nicht sicher, ob er es überhaupt wissen wollte, wenn es so war - konnte aber nicht leugnen, dass bei dieser Frage ein Hauch von Hoffnung in ihm aufflackerte.
»Nicht viel.« Hal rieb sich das Kinn. »Falls man ihn verurteilt, könnte es vielleicht möglich sein, das Strafmaß so zu beeinflussen, dass es in Kerkerhaft oder Deportation umgewandelt wird. Ich sage, es könnte möglich sein. Ich würde es jedenfalls versuchen«, fügte er mit einem kurzen Blick in Greys Richtung hinzu. »Um seines Stiefvaters willen.«
»Falls man ihn verurteilt«, wiederholte Grey. »Glaubst du ernsthaft an die Möglichkeit, dass man ihn nicht verurteilt?«
»Eigentlich nicht«, sagte Hal unverblümt. »Wir müssen uns auf alles gefasst machen - wer kommt denn da?«
Tom Byrd, der Dr. Protheroe, den Stabsarzt des Regimentes, dabeihatte. Dieser stellte seine Tasche ab und ließ den Blick zwischen Melton und Grey hin und her schweifen.
»Ääh … Euer Mann hier sagt, Ihr fühlt Euch biliös?« Sein Tonfall war skeptisch. Protheroe war ein zierlicher, dunkelhaariger, gut aussehender Mann; ein guter Arzt, der jedoch noch sehr jung war und großen Respekt vor Hal hatte.
»Nun, das stimmt nicht ganz«, begann Grey
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