Die Sünde der Brüder
Kutsche die Pferdehaare von der Uniform, um auf einem Ball in Richard Joffreys Haus mit den Damen zu tanzen und in den Ecken mit den Herren zu konferieren, den Ministern, die die Kriegsmaschinerie in Bewegung hielten, und den Kaufleuten, die ihre Zahnräder ölten.
Das einzig Positive an solchen Anlässen war, dass es dort etwas zu essen gab; oftmals nach dem Frühstück seine einzige Gelegenheit, etwas zu essen.
Es war bei einer solchen Zusammenkunft, dass Hal an seine Seite trat und leise sagte: »Lord Creemore ist krank.«
Grey war so ausgehungert und so abgelenkt, dass er zunächst gar nicht begriff, wer Lord Creemore war und einfach nur »Oh? Wie traurig« sagte, ohne den Blick von den Sardinen auf Toast abzuwenden, die er sich hatte reichen lassen.
Hal sah ihn stirnrunzelnd an und wiederholte betont: »Lord Creemore ist krank. Sehr krank, wie ich höre. Er hat seit zwei Monaten das Haus nicht mehr verlassen.«
»Ah!«, sagte Grey, dem jetzt die Erkenntnis dämmerte. »George Longstreet.« Er aß die Sardinen mit zwei Bissen und spülte sie mit einem Schluck Champagner hinunter. »Du meinst also, er ist wahrscheinlich nicht in der Verfassung, Straßenräuber anzuheuern und anderen Dokumente unterzujubeln?«
»Ich glaube nicht. Da kommt Adams, dieser fürchterliche Langweiler; sprich du mit ihm - wenn ich es tue, erwürge ich ihn noch.« Mit einem mechanischen Kopfnicken schritt Hal an dem Minister vorbei und schob sich durch die Menge. Seufzend leerte Grey sein Champagnerglas, stellte es auf ein Tablett, das jemand vorübertrug, und nahm sich ein frisches.
»Mr. Adams«, sagte er. »Euer Diener, Sir.« »War das nicht Lord Melton?« Adams, der kurzsichtig war, blinzelte fragend in die Richtung, in die Hal geflohen war. »Ich wollte mit ihm sprechen, bezüglich seiner äußerst extravaganten Bitte um …«
Grey leerte noch ein Glas, hörte zu, wie die Standuhr in der Ecke Mitternacht schlug, und dachte, wie schön es doch wäre, sich in einen Kürbis zu verwandeln und reglos zu Adams’ Füßen zu liegen, ohne das Gerede des Mannes zu verstehen.
Stattdessen heftete er den Blick auf das Muttermal rechts neben Adams’ Mund und nickte hin und wieder oder verzog das Gesicht, während er systematisch drei weitere Gläser Champagner und einen Teller Schinkenhäppchen vertilgte.
Als er drei Stunden später in einem Nebel aus Erschöpfung und Alkohol ins Bett sank, gelang es ihm gerade noch, einige Sekunden wach zu bleiben und sich zu fragen, ob er Percy Wainwright nach seiner Rückkehr aus Irland wohl noch erkennen würde, ganz zu schweigen davon, ob er noch wissen würde, was er mit ihm anfangen sollte.
17
In welchem eine Hochzeit stattfindet - unter anderem
Am 27. Februar wurde in der Kirche St. Margaret, einer Gemeindekirche der Westminster Abbey, die Hochzeit von General Sir George Stanley und Benedicta, verwitwete Gräfin Melton, gefeiert.
Es war keine große, dafür aber eine sehr stilvolle Hochzeit, wie Horace Walpole, einer der Gäste, beifällig anmerkte. Olivia hatte die Kirche mit immergrünen Zweigen dekorieren lassen, die mit goldenen Bändern umwunden waren, und der Duft der Kiefern und Zedern verlieh der von altem Wachs und lange in geschlossenen Räumen eingesperrten Menschen geprägten Atmosphäre eine willkommene Frische. Die Hochzeitsgesellschaft, die sich zu gleichen Teilen aus militärischen Würdenträgern, Politikern und dekorativen Mitgliedern der feinen Gesellschaft zusammensetzte, leuchtete mit ihren Goldtressen und ihren Diamanten mit den vierhundert Kerzen um die Wette.
»Was mein ist, soll auch dein sein, mein Körper soll das Werkzeug meiner Liebe sein …«
Grey, der mit Percy Wainwright in der ersten Reihe saß, war dem Hochzeitspaar nah genug, um den Ausdruck im Gesicht des Generals zu sehen, dessen sanfte Intensität ihn überraschte. Umso überraschter - und fassungsloser - war er, in den Augen der Gräfin als Reaktion darauf das gleiche Gefühl aufblitzen zu sehen.
Ihn überlief jene seltsame Gänsehaut, die jedes Kind bei der plötzlichen Erkenntnis bekommt, dass einer seiner Elternteile nicht nur irgendwann in grauer Vorzeit einmal theoretisch den
fleischlichen Akt begangen haben musste, der dann in seiner eigenen Existenz resultierte - sondern durchaus in der Lage war, dies im Hier und Jetzt erneut zu tun.
Er warf einen raschen Blick auf Percy, um zu sehen, ob er mit dieser Horrorvision allein war, sah jedoch nur einen Ausdruck leiser Wehmut in Percys offenem
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