Die Sünde des Abbé Mouret
Tochter sich
einem Bettler nachwirft.«
»Immerhin«, fuhr der Abbé Mouret fort, »kann doch nur die Heirat
dies Ärgernis aus der Welt schaffen.«
Der Bruder zuckte die klobigen Achseln und lachte höhnisch.
»Bilden Sie sich nur nicht ein, daß Sie mit dieser Heirat
irgendeine Änderung schaffen im Land. Noch vor zwei Jahren ist die
Kathrine trächtig, folgen die andern, alle kommen so weit. Vom
Augenblick an, wo man sie verheiratet, machen sie sich lustig über
alles. Die Leute vom Artaud wachsen und gedeihen in ihren
ungeregelten Beziehungen wie in ihrem eigensten Mistbeet. Nur ein
Gegenmittel gibt es, hab' ich Ihnen gesagt; man muß den Weibern den
Hals umdrehen, wenn man will, daß das Land nicht vergiftet
wird … Keinen Ehemann sollte man ihnen geben, sondern
Stockprügel, Herr Pfarrer, Stockprügel.«
Er beruhigte sich und fuhr fort:
»Lassen wir jeden sein Gut verwalten nach eigenem Ermessen.«
Und er sprach davon, die Katechismusunterweisungen neu
einzuteilen. Der Abbé Mouret gab ihm zerstreute Antworten. Er
betrachtete das Dorf zu seinen Füßen, beglänzt von der untergehenden Sonne. Die Bauern kehrten heim,
schweigsame Männer, die langsam daherkamen mit dem Gang von
Lastochsen, die zum Stall zurückfinden. Vor den Häusern stehende
Frauen stießen Rufe aus, unterhielten sich laut von einer Türe zur
anderen, während Rudel von Kindern, sich prügelnd, wälzend und
überkugelnd, die Straße mit Schuhgeklapper erfüllten. Ausdünstung
von Menschen stieg auf von diesem Haufen baufälliger Häuser. Der
Priester fühlte sich immer noch in Desideratas Hof vor dem sich
rastlos mehrenden Tiergewimmel. Hier fand er die gleiche
Zeugungshitze, die gleichen unaufhörlichen Paarungen, die sein
Gefühl beunruhigten.
Seit morgens in Rosaliens Schwangerschaftsgeschichte verstrickt,
bedachte er zu guter Letzt die Umstände, den Schmutz des Lebens,
die fleischliche Bedrängnis, die unvermeidliche Fortpflanzung der
Art, die Menschen sät wie Getreidekörner. Die Leute vom Artaud
waren wie eine Herde, zwischen vier den Horizont begrenzende Hügel
eingepfercht, zeugend, sich ausbreitend über die Scholle, weiter
und weiter bei jedem Wurf der Weibchen.
»Halt, sag' ich's nicht,« schrie Bruder Archangias und
unterbrach sich, um auf ein großes Mädchen aufmerksam zu machen,
das sich von ihrem Schatz hinter einem Busch küssen ließ. »Da haben
wir wieder so eine liederliche Dirne!«
Er fuchtelte so lange mit seinen langen schwarzen Armen, bis das
Pärchen vertrieben war. Weithin über das rote Gelände, die kahlen
Felsen brünstete die sterbende Sonne letztes Feuerflammen. Mählich
kam die Nacht. Der warme, weiche Lavendelduft erfrischte sich, von
leise erwachenden Winden getragen. Wie ein
großes Seufzen klang es von Zeit zu Zeit, als käme dieses
verscheidende, von Leidenschaft ganz verglühte Erdenland endlich
zur Ruhe im grauen Rieseln der Dämmerung.
Der Abbé Mouret, den Hut in der Hand, froh der Kühle, fühlte
Schattenfrieden über sich gleiten.
»Herr Pfarrer! Bruder Archangias!« rief die Teusin. »Schnell!
Die Suppe ist da.«
Es gab eine Kohlsuppe; kräftig durchdampfte sie das Eßzimmer der
Pfarrei.
Der Bruder setzte sich und löffelte bedächtig den Riesenteller
leer, den die Teusin vor ihn hingestellt hatte. Er aß viel mit
gurgelnden Kehllauten, aus denen man vernehmen konnte, wie die
Speisen in den Magen trafen. Er richtete den Blick fest auf den
Löffel und sagte kein Sterbenswort.
»Ist meine Suppe etwa nicht gut, Herr Pfarrer?« fragte die alte
Dienerin. »Sie sitzen so da und rühren in Ihrem Teller.«
»Ich habe gar keinen Hunger, meine gute Teuse,« antwortete der
Priester lächelnd.
»Ei der Tausend, das ist nicht zum Verwundern, wenn man so
drauflos lebt!… Sie hätten schon Hunger, wenn sie nicht erst nach
zwei Uhr gefrühstückt hätten.«
Bruder Archangias sagte gefaßt, nachdem er in seinen Löffel das
wenige Suppengetropf vom Boden des Tellers geschüttet hatte:
»In seinen Mahlzeiten muß man regelmäßig sein, Herr
Pfarrer.«
Währenddessen stand Desiderata auf und ging der Teusin nach in
die Küche; auch sie hatte, ohne zu reden, ernsthaft ihre Suppe gelöffelt. Der Bruder, mit dem Abbé allein
geblieben, schnitt sich lange Stücke Brot, die er schluckte in
Erwartung des Kommenden.
»So sind Sie also heute weit herumgekommen?« fragte er.
Dem Priester blieb keine Zeit zur Antwort. Vom Hausgang an der
Hofseite her vernahm man ein Geräusch von Schritten,
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