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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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ihm
das Wort ab.
    »Nein, nein, für ihn ist Gott nicht da, keine Buße, keine Gnade
– Es wäre besser, die Hostie den Schweinen vorzuwerfen, als sie zu
diesem Schelm zu tragen.«
    Er nahm sich nochmals Kartoffeln, stützte die Ellbogen auf den
Tisch und kaute wie rasend, das Kinn dicht am Teller. Die Teusin
begnügte sich mit eingekniffenen Lippen, weiß vor Wut, zu
sagen:
    »Lassen Sie ihn doch, der Herr Pfarrer will nur nach seinem
eigenen Kopf handeln, der Herr Pfarrer hat Geheimnisse vor
uns.«
    Ein schweres Schweigen lagerte sich. Eine kurze Spanne Zeit
hörte man nur das Kaugeräusch des Bruders und seine sonderbaren
Schlucktöne. Desiderata legte ihre nackten Arme um das Amselnest
auf ihrem Teller; sie neigte das Antlitz darüber, lächelte den
Jungen zu, sprach lang zu ihnen, ganz leise … in einem ihr
eigenen Gezwitscher, das sie zu verstehen schienen.
    »Man sagt, was man tut, wenn man nichts zu verbergen hat,«
schrie die Teusin plötzlich. Dann wieder Schweigen. Daß der
Priester ihr seinen Besuch anscheinend hatte geheimhalten wollen,
brachte die alte Dienerin außer sich. Sie betrachtete sich als
schändlich hintergangene Frau. Ihre Neugier war tief getroffen. Sie
umkreiste den Tisch, sah den Priester nicht an, richtete an niemand
das Wort, machte sich Luft, ganz für sich:
    »Jawohl, darum ißt man so spät! … Man
macht sich davon ohne ein Wort und führt ein Bummelleben bis um
zwei Uhr nachmittags. Man geht in derartig verrufene Häuser, daß
man nachher nicht einmal den Mut hat, von seinen Erlebnissen zu
erzählen. Man lügt und hintergeht seine Mitmenschen … «
    »Aber,« unterbrach sanft der Abbé Mouret, der sich Mühe gab,
weiter zu essen, um die Teusin nicht noch mehr aufzubringen.
»Niemand hat mich gefragt, ob ich im Paradeis gewesen sei; ich
hatte es gar nicht nötig, zu lügen.«
    Die Teusin fuhr fort, als habe sie nichts gehört:
    »Man läßt seine Sutane nicht im Staub verkommen und schleicht
sich heim wie ein Dieb. Und wenn eine wohlmeinende Person, der an
einem liegt, einen zu seinem Besten ausfragt, stößt man sie zurück,
behandelt sie als Nichtswürdige, die kein Vertrauen verdient. Man
tut heimlich wie ein Falschspieler; man stürbe lieber, als daß man
eine Silbe äußerte; man hat nicht einmal Aufmerksamkeit genug für
seine Häuslichkeit, von seinen Erlebnissen erzählen zu wollen.«
    Sie drehte sich zu dem Priester, sah ihm ins Gesicht. »Ja, Ihnen
sage ich das alles … Ein Geheimniskrämer sind Sie, ein
schlimmer Mensch!«
    Sie begann zu weinen. Der Abbé mußte sie trösten.
    »Der selige Herr Caffin besprach alles mit mir,« wimmerte sie.
Dann beruhigte sie sich. Bruder Archangias verschlang ein großes
Stück Käse, ohne auch nur im geringsten von dieser Szene berührt zu
werden. Nach seiner Meinung tat es dem Abbé Mouret gut, mit fester
Hand geführt zu werden; die Teusin tat wohl daran, ihn die Zügel spüren zu lassen. Er leerte ein letztes Glas
Kretzer, warf sich zurück in seinen Stuhl und verdaute.
    »Was haben Sie denn nun zu sehen bekommen im Paradeis,« fragte
die alte Magd, »erzählen Sie uns das wenigstens.«
    Der Abbé Mouret schilderte mit wenigen Worten den sonderbaren
Empfang, der ihm bei Jeanbernat wurde. Die Teusin stieß in einem
Sturm von Fragen Entrüstungsrufe aus. Bruder Archangias ballte die
Fäuste und schüttelte sie.
    »Der Himmel soll über ihm einstürzen!« sagte er. »Brennen
sollten sie alle beide, er und seine Hexe!«
    Der Abbé versuchte seinerseits nun Einzelheiten über die
Bewohner des Paradeis zu erfahren. Mit gespannter Aufmerksamkeit
lauschte er dem Bruder, der Ungeheuerlichkeiten auskramte.
    »Ja, und diese Satansbrut ist eines morgens zur Schule gekommen.
Es ist schon lange her; sie war ungefähr zehn Jahre alt. Ich ließ
sie gewähren; ich dachte, ihr Onkel schickte sie zur ersten
Kommunion. Zwei Monate unterwühlte sie die Klasse. Sie ließ sich
anschwärmen, die Lumpenprinzessin! Spiele wußte sie, allerhand Tand
erfand sie aus Blättern und Stoffetzen. Und gescheit dabei, wie
alle diese Höllenausgeburten … Da eines Morgens bricht der
Alte in die Schule ein. Er wollte alles kurz und klein schlagen,
brüllte, die Pfaffen hätten ihm das Kind entführt. Der Feldhüter
mußte kommen und ihn hinauswerfen. Die Kleine war ausgekniffen. Vom
Fenster aus konnte ich sie in einem gegenüberliegenden Feld
erblicken … Sie war auf eigene Faust zur Schule gekommen, ohne
daß er eine Ahnung davon gehabt hätte.

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