Die Sünde des Abbé Mouret
der Zeit ist es wohl und munter.«
Sie steckte die Finger durch die Maschen des Gitterwerkes und
streichelte den Tierchen den Rücken.
»Wie Atlas,« fuhr sie fort. »Sie sind fürstlich gekleidet. Und
eitel obendrein! Dies dort zum Beispiel putzt sich immerwährend.
Mit seinen Pfoten … Wenn du wüßtest,
wie komisch sie sind! Ich sage nichts, aber ich bemerke ihre
Bosheiten wohl. So haßte beispielsweise das graue Männchen, das uns
ansieht, ein kleines Weibchen; ich mußte es absondern. Gräßliche
Geschichten haben sich zwischen ihnen abgespielt. Zu lang wäre es,
alles zu erzählen. Das letztemal, vermutlich, nachdem es das
Weibchen mißhandelt hatte, was muß ich sehen, als ich böse ankam?
Diesen Spitzbuben da, flach an den Boden geschmiegt und anscheinend
verröchelnd. Er wollte mich glauben machen, er habe sich über das
Weibchen zu beklagen … «
Sie unterbrach sich, zum Kaninchen gewandt:
»Hör' nur gut zu, ein Lump bist du.«
Und zum Bruder sich umdrehend:
»Alles versteht er, was ich sage,« flüsterte sie mit einem
Augenblinzeln.
Der Abbé Mouret hielt es nicht mehr aus in der Wärme, die vom
Kaninchenstall ausging. Das unterm ausgerissenen Bauchhaar der
Mütter wimmelnde Leben wehte so Starkes zu ihm hin, daß die
Schläfen ihm davon klopften. Desiderata, wie berauscht nach und
nach, wurde immer munterer, rosiger und körperlicher.
»Es ruft dich aber doch niemand!« rief sie, »es sieht immer aus,
als ob du weglaufen wolltest. Und meine kleinen Küken! Von dieser
Nacht sind sie.«
Sie nahm eine Handvoll Reis und warf sie vor sich hin. Die
Glucke mit rufendem Gegacker kam würdig näher, gefolgt von der
ganzen Kükenschar mit ihrem piepsenden Gezwitscher und dem
schwanken Flügelschlag verirrter Vögel. Als sie dann mitten in den
Reiskörnern standen, teilte die Mutter wütende Schnabelhiebe aus
und warf die Körner umher, die sie zerbrach, während die Jungen eilig vor ihr herpickten. Voll entzückender
Kindlichkeit waren sie, erst halbgefiedert, mit rundem Kopf und
scharfen Äuglein wie Stahlspitzen. Der Schnabel saß ihnen so
drollig und der Flaum so liebenswürdig gelupft, daß sie wie
Zweisousspielzeuge anzusehen waren. Desiderata brach in vergnügtes
Lachen aus bei ihrem Anblick.
»Lieblinge sind sie,« brachte sie hervor.
Zwei nahm sie, eines in jede Hand und bedeckte sie mit Küssen.
Der Priester mußte sie von allen Seiten betrachten, während sie in
aller Gemütsruhe sagte:
»Es ist gar nicht leicht, die Hähne herauszukennen. Ich irre
mich aber nicht … Das ist ein Hühnchen, und das ist auch ein
Hühnchen.«
Sie setzte sie auf die Erde zurück. Die anderen Hennen kamen an,
um den Reis zu vertilgen. Ein großer Hahn mit flammendem Gefieder
folgte ihnen; er schritt hoch daher in majestätischer
Umsichtigkeit.
»Alexander wird immer prächtiger,« sagte der Priester seiner
Schwester zuliebe.
Der Hahn hieß Alexander. Er duckte den Kopf, breitete den
Schweif und betrachtete glühenden Auges das junge Mädchen. Dann
hielt er sich dicht an ihrem Rocksaum.
»Er hat mich sehr gerne,« sagte sie. »Von mir allein läßt er
sich anfassen … Ein tüchtiger Hahn ist er. Vierzehn Hennen hat
er, und ich finde nie ein taubes Ei in der Brut, nicht wahr,
Alexander?«
Sie hatte sich gebückt. Der Hahn entzog sich ihrer Liebkosung
nicht. Man sah, wie das Blut ihm in den Kamm stieg. Mit schlagenden
Flügeln und gestrecktem Hals stieß er einen langgezogenen Schrei
aus, der aus stählerner Kehle zu kommen
schien. Viermal krähte er; alle Hähne im Artaud antworteten von
weither. Die erschreckte Miene ihres Bruders belustigte Desiderata
höchlichst.
»Hoho, er zerreißt dir das Trommelfell,« sagte sie, »er hat eine
ordentliche Stimme … Aber ich versichere dir, bös ist er
nicht. Die Hennen, die sind böse … Entsinnst du dich der
großen Sprenkelhenne, die gelbe Eier legte? Vorgestern hat sie sich
am Bein verletzt. Als die anderen das Blut sahen, waren sie wie
toll. Alle liefen ihr nach, pickten nach ihr, wollten von ihrem
Blute haben, so arg, daß ihr am Abend das Bein fast abgefressen
war … Ich fand sie mit dem Kopf hinter einem Stein, wie eine
Blöde; ohne einen Laut ließ sie sich verschlingen.«
Die Gefräßigkeit der Hennen versetzte sie in heitere Stimmung.
Friedvoll erzählte sie von anderen Greueltaten: junge Hühnchen
waren in Stücke gehackt, die Eingeweide ihnen herausgerissen
worden; sie hatte nichts mehr von ihnen gefunden als Hals und
Flügel; ein Wurf
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