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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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wieder die Wendung der Mauer zu
nahm, ruhte der Blick auf dem Kirchturm, der für ihn die ganze
Stadt versinnbildlichte, die ganze Erde unter freien
Wolkenzügen.
    Unter den Platanen teilten sich lärmende Gruppen; zu zwei und
zwei sonderten Freunde sich ab in den Winkeln, beobachtet von einem
hinter Fenstervorhängen stehenden Vorsteher, hitzige Ball- und
Kegelspieler störten friedliche Lottospieler, halbgelagert vor
ihren Spielbrettern, die von zu wild
geschleuderten Bällen oder Kugeln mit Sand beworfen wurden. Wenn
die Glocke tönte, versiegte der Lärm, eine Sperlingsschar
entflatterte den Platanen, die Schüler begaben sich noch ganz außer
Atem zur Unterweisung im Gregorianischen Kirchengesang mit
gekreuzten Armen und gesenktem Kopf. Und der Tag endigte inmitten
dieses Friedens; er ging zurück in die Klasse, vesperte um vier Uhr
und nahm die endlose Wanderung wieder auf angesichts der Turmspitze
von St. Markus, aß zu Abend, von dem gleichen Kaugeräusch umgeben,
beim Tönen der gleichen behäbigen Stimme, die am Morgen Begonnenes
zu Ende las; dann stieg er zum Abendsegen hinauf in die Kapelle und
begab sich um acht ein Viertel Uhr zur Ruhe, nachdem er sein Bett
mit Weihwasser besprengt hatte zum Schutz gegen schlimme
Träume.
    Wie viele schöne gleichmäßige Tage waren derart vergangen in
jenem ehrwürdigen Kloster zu Plassans, ganz erfüllt vom
jahrhundertealten Hauch andächtiger Frömmigkeit!
    Fünf Jahre lang hatten die Tage sich so aneinandergereiht,
dahinfließend mit dem gleichmäßigen Rauschen klarer Gewässer. In
dieser Stunde fielen ihm immer mehr Einzelheiten ein, die ihn
rührten.
    Er erinnerte sich seiner ersten Ausstattung, die er mit seiner
Mutter eingekauft hatte: die beiden Sutanen, die beiden Binden, die
sechs Priesterkragen, acht Paar schwarze Strümpfe, sein Dreispitz
und Chorhemd. Wie hatte sein Herz geklopft an jenem milden
Oktoberabend, als das Tor des Seminars hinter ihm ins Schloß fiel!
Zwanzigjährig kam er dorthin, nach der Schulzeit, ergriffen von
Glaubens-, von Liebessehnsüchten. Gleich
am nächsten Tag war ihm alles entschwunden, wie entschlafen auf dem
Grund des alten stillen Hauses. Er sah die enge Zelle vor sich, in
der er seine zwei Jahre philosophischer Studien zubrachte, ein mit
Stuhl, Bett und Tisch bestandener Verschlag, von nachbarlichen
Verschlägen durch undichte Wandungen getrennt, in einem riesigen
Saal fünfzigmal gleichartig aufgeteilt. Er sah wieder im Geist die
Zelle vor sich, die er in der Zeit seiner theologischen Studien
während drei weiterer Jahre innegehabt hatte; geräumiger war sie,
einen Sessel gab es, einen Waschtisch, ein Büchergestell;
glückliche Kammer, erfüllt von seinen Glaubensträumen. Die endlosen
Gänge, auf den weiten Steintreppen, an gewissen Windungen waren ihm
plötzliche Erleuchtungen zuteil geworden, unerhoffter Beistand. Von
der hohen Deckenwölbung klang die Stimme der Schutzengel nieder. Es
gab keine Bodenplatte, keinen Mauerstein, nicht einen einzigen
Platanenzweig, der ihm nicht von den Beseligungen gesprochen hätte
seines beschaulichen Lebens, seinem Liebesgestammel, seiner
langsamen Einführung, den Liebkosungen, die ihm wurden als
Gegengabe für die Auslieferung seines ganzen Wesens, das ganze
Glück seiner ersten himmlischen Liebe. Eines Morgens hatte er beim
Erwachen ein lebendiges Leuchten wahrgenommen, das ihn ganz
einhüllte in Freudigkeit. Eines Abends beim Schließen der
Zellentüre hatte er gespürt, wie wohlige Hände um den Hals ihm
griffen, so innig, daß er, als er wieder zur Besinnung kam, sich am
Boden fand, aufgelöst in Schluchzen.
    In einem kleinen Gewölbe, das zur Kapelle führte, hatte er sich
weichen Armen überlassen, die ihn trugen. Dazumal nahm die ganze
himmlische Welt sich seiner an, hielt sich
um ihn, verlieh seinen unwichtigsten Handlungen einen besonderen
Sinn, einen erstaunlichen Duft, der für immer seinen Hüllen, seiner
Haut wundersam anzuhaften schien. Und die Ausflüge am Donnerstag
fielen ihm wieder ein. Um zwei Uhr brach man auf nach irgendeinem
grünen Winkel im Meilenumkreis von Plassans. Am öftesten ging man
ans Ufer der Biorne, zu einem Wiesengrund, wo knorrige Weiden ihre
Blätter ins Wassergerinnsel hingen. Er sah nichts, weder die großen
gelben Wiesenblumen, noch die im Flug trinkenden Schwalben, die den
Wasserspiegel mit den Flügeln überglitten. Bis um sechs Uhr in
Gruppen unter den Weiden gelagert, sprachen seine Kameraden und er
im Chor das englische Amt der Jungfrau

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