Die Sünde des Abbé Mouret
ich untröstlich
wäre, kämest du nicht… Seit sehr lange hege ich dies Verlangen, es
wuchs von Tag zu Tag, und jetzt peinigt es mich. Du kannst doch
nicht wollen, daß ich leide? … Und müßtest du auch sterben,
brächte dieser Baum uns auch beide zu Tode, würdest du dich
besinnen, würdest du das leiseste Bedauern spüren? Wir würden am
Fuß des Baumes hinsinken. Aneinandergeschmiegt entschlummerten wir
dort. Wäre das nicht schön?«
»Ja,« stammelte er vor diesem wunschbebenden Aufwallen der
Leidenschaft.
»Aber wir werden gar nicht sterben,« fuhr sie fort, und in ihrer
Stimme jubelte sieghaftes Frauenlachen. »Wir werden leben, um uns
lieben zu können. Ein Baum des Lebens
ist's, dessen Schatten stärkend, gesundend, vervollkommnend wirkt.
Du wirst sehen, wie leicht sich alles gestalten wird. Du kannst so
eng von mir Besitz ergreifen, wie du es dir erträumtest, so daß
dein Körper mich ganz in dich aufnimmt. Himmlische Lust wird sich
in uns ergießen, willst du?«
Er erbleichte, seine Augenlider bebten, als ob zu große
Helligkeit ihn bedrängte.
»Willst du, willst du?« wiederholte sie, dringlicher und schon
zum Gehen gewandt. Er stand auf und folgte ihr, schwankend zuerst,
dann sie umschlingend; von ihr sich zu trennen vermochte er nicht.
Wohin sie ging, ging auch er, hingegeben der strömenden Wärme aus
ihrem Haar.
Und weil er ein weniges zurückblieb, wandte sie sich halb, ihr
Antlitz leuchtete Liebe, aus Mund und Augen lockte Verführung, so
mächtig, daß er ihr überallhin gefolgt wäre, wie ein getreuer
Hund.
Kapitel 15
Sie gingen hinunter, schritten mitten durch den Garten, Sergius'
Lächeln verging nicht. Er nahm das Laubgrün nur wahr in Albines
spiegelklarem Blick. Als der Garten sie erblickte, durchlief es ihn
wie langes Lachen, wie befriedigtes Flüstern, von Blatt zu Blatt
fliehend, bis in die entferntesten Alleen. Seit Tagen wohl
erwartete er sie, so vereint, mit den Bäumen versöhnt, auf grüner
Suche nach verlorener Liebe. Feierliches Schweigen breitete sich
unter den Ästen.
Der Mittagshimmel sah glutend still. Pflanzen reckten sich, um
sie vorüberkommen zu sehen. »Hörst du sie?« fragte Albine halblaut. »Sie verstummen, wenn wir uns
nähern. Aber sie spähen nach uns schon von weitem und verständigen
sich über den Weg, den sie uns zeigen wollen… ich sagte dir ja, wir
würden den Weg mit Leichtigkeit finden. Bäume zeigen ihn mir mit
ausgestreckten Armen.«
Wirklich war es, als drängte der ganze Park sie leicht und sanft
vorwärts. Hinter ihnen schloß sich eine Stachelschranke, um sie an
der Umkehr zu hindern. Vor ihnen aber entrollte sich der
Rasenteppich so gemächlich, daß sie des Weges kaum mehr achteten,
sich dem zartgeneigten Gelände überließen. »Die Vögel geben uns das
Geleit,« begann Albine wieder. »Jetzt sind es Meisen. Kannst du sie
sehen? Sie fliehen die Hecken entlang und warten an jeder
Wegbiegung, achten darauf, daß wir uns nicht verirren. Ach,
sprächen wir ihre Sprache, so verstünden wir, daß sie uns zur Eile
antreiben.« Dann fügte sie hinzu:
»Alle Tiere des Gartens sind mit uns, spürst du das nicht? Ein
lautes Rauschen folgt uns nach. Die Vögel sind es in den Zweigen,
die Insekten im Gras, Rehe und Hirsche in den Büschen, sogar die
Fische regen im stummen Gewässer ihre Flossen… Sieh dich nicht um,
es könnte sie erschrecken; aber sicher weiß ich, wir haben ein
schönes Geleit.«
Und sie gingen unermüdeten Schrittes weiter. Albine sprach nur,
um Sergius in den Zauber ihrer Stimme einzuhüllen. Sergius gab dem
leisesten Druck von Albines Hand nach, kannten sie auch das Gelände
nicht, das sie durchwanderten, so wußten sie doch genau, daß sie so
geradeswegs zum Ort ihrer Bestimmung gelangten. Und je weiter sie
vordrangen, desto verschwiegener hielt
sich der Garten, tat dem Seufzen seiner Gezweige, der
Geschwätzigkeit seiner Wasser, dem hitzigen Treiben seines Getieres
Einhalt. Tiefes Schweigen breitete sich bebend, weihevolle
Erwartung.
Da hoben Albine und Sergius gefühlsgetrieben den Blick; ihnen
gegenüber häufte sich eine Blättermasse, und als sie zauderten,
sprang ein Reh, das mit sanft-schönen Augen sie betrachtete, in den
Busch.
»Hier ist's,« sagte Albine.
Sie trat zuerst vor, wandte den Kopf und zog Sergius nach, dann
nahmen die rauschenden Blätter sie auf, es wurde ganz ruhig, süßer
Friede empfing sie.
Ein Baum stand hier inmitten, so schattenverhängt, daß seine Art
nicht zu erkennen war.
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