Die Sünde
Passanten aufstöbern.
Völlig übernächtigt und kreidebleich suchte Weiß gegen acht Uhr morgens die Kriminalpolizei in der Charlottenburger Chaussee auf. Der zuständige Kriminalbeamte war sehr nett und brachte viel Verständnis für Weiß’ Sorgen auf. Allerdings zeigte er sich äußerst skeptisch, als Weiß angab, dass er und Radecke schwul seien und er, außer seinem unguten Gefühl, keinerlei Argumente vorbringen könne, die tatsächlich auf ein Verbrechen hindeuteten. Schließlich konnte Weiß den Polizisten doch noch von der Notwendigkeit überzeugen, ein Protokoll und damit eine Vermisstenanzeige aufzunehmen. Gezielte Fahndungsmaßnahmen schloss der Kriminalbeamte allerdings unter den gegebenen Umständen aus. Er erfasste Radecke lediglich zur Aufenthaltsermittlung im innerdeutschen Fahndungssystem.
Zwei Tage später erhielt der Beamte eine E-Mail, aus der hervorging, dass bei der Heidelberger Kripo bislang insgesamt fünf Pakete mit menschlichen Körperteilen eingegangen seien. In einem der Pakete habe sich ein Herz befunden, weshalb mindestens in einem Fall von einem Mord ausgegangen werden müsse. Sämtliche Dienststellen, die Vermisstenanzeigen aufnahmen, würden dringend ersucht, von vermissten Personen sofort DNA -fähiges Material zu sichern und es unverzüglich den serologischen Instituten ihrer Landeskriminalämter zuzuschicken.
Weiß wurde noch am selben Tag von dem Kriminalbeamten zu Hause aufgesucht. Endlich tat sich etwas, dachte er erleichtert. Gleichzeitig war er aber beunruhigt, weil der Beamte den Kamm und ein getragenes Hemd seines Ehepartners zur Sicherung von DNA -Spuren mitnahm.
»Nur für den Fall der Fälle«, beschwichtigte ihn der Kommissar, ohne eine weitere Erklärung abzugeben.
Daniel Weiß hatte Angst, die Fahndung nach Gottwald Radecke könnte eingestellt werden, wenn er erzählen würde, dass der Vermisste tags zuvor an einem Geldautomaten Tausend Euro abgehoben hatte. Also verschwieg er diese Tatsache. Er wollte erst abwarten, bis er von der Bank Bescheid bekam, an welchem Bankautomaten die Abhebung stattgefunden hatte, und ob der Geldabheber dabei gefilmt worden war. Wenn es Gottwald war, müsste er sich auf etwas gefasst machen! Ich mache ihm eine Szene, die sich gewaschen hat, beschloss Weiß in seinen Gedanken. Doch wer sollte es sonst gewesen sein? Gottwald würde doch nie seine PIN preisgeben. Lieber würde er sich die Zunge rausreißen lassen, dachte Weiß.
36
Wegner sah Nawrod an. In den Augen des Soko-Leiters spiegelte sich Enttäuschung und Frust wider. »Ich verstehe das nicht.« Wegner griff sich in die Haare. »Die Observation von Haider und Pfaff brachte bisher nicht den geringsten Hinweis darauf, dass sie einen Menschen in ihrer Gewalt haben. Tagsüber verlässt Haider seine Wohnung nur zum Einkaufen. Er benimmt sich absolut unauffällig. Ebenso seine Angehörigen. Die Schwester arbeitet in der Filiale der Genossenschaftsbank. Gestern nach Feierabend fuhr sie auf schnellstem Weg nach Hause. Sie trug ein Kopftuch und eine große Sonnenbrille. Offensichtlich bekam sie mit, dass sie Ähnlichkeit mit dem Phantombild hat. Es haben sich auch schon zwei Anrufer gemeldet, die Elvira Haider kennen und der Meinung sind, dass es sich bei dem Phantombild eindeutig um sie handelt.«
»Und was ist mit Haiders Mutter?«, fragte Nawrod, der ebenso enttäuscht wie Wegner war.
»Sie ist eine alte, kranke Frau, die es allenfalls schafft, mit ihrem Rollator ein paar Schritte vor ihre Wohnung zu gehen.«
»Dann muss Haider seine Mutter zum Postamt gefahren haben. Vielleicht stand er sogar hinter ihr, als sie das Paket aufgegeben hat«, gab Yalcin zu bedenken. »Ich meine, es passt doch alles: Haiders E-Mail-Kontakt zu Pfaff, die Geldüberweisung, die Ähnlichkeit der Phantombilder mit Mutter und Schwester, seine Lateinkenntnisse, einfach alles. Die drei verhalten sich deshalb so ruhig, weil sie bis zur nächsten Sendung noch Zeit haben. Ich bin sicher, spätestens übermorgen tut sich etwas.«
»Vorausgesetzt, sie machen überhaupt weiter und bleiben bei vier Tagen Abstand zwischen den einzelnen Paketen«, brummte Wegner.
»Da bin ich mir ziemlich sicher«, antwortete Nawrod. »In seiner E-Mail hat Haider Pfaff nämlich mitgeteilt, er sei uns immer einen Schritt voraus. Das heißt, er will noch mehr Kapital aus der Sache schlagen.«
»Wir dürfen ihn keine Sekunde aus den Augen lassen«, brummte Wegner. »Sie werden ihre Geisel in einem sicheren Versteck eingesperrt
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