Die Sünde
13 Jahren hätten sie ihn in ein Heim geben müssen, weil er ständig andere Jungs verprügelt sowie Einbrüche und Warenhausdiebstähle begangen habe. Er sei unzählige Male ausgebüxt. Die Polizei habe ihn immer wieder eingefangen und zurückgebracht. Als 16-Jähriger sei er auf den Strich gegangen und zweimal von der Polizei erwischt worden. Im Heim habe er seinen Hauptschulabschluss gemacht und eine Lehre als Schreiner begonnen, die er aber nach einem Jahr abgebrochen habe. Mit 18 sei er aus dem Heim entlassen worden. Dass er Tierpfleger war und in Frankfurt wohnte, hätten sie nicht gewusst. Ihrem Wissen nach habe er zuletzt in Schwetzingen gelebt.
Kriminalkommissar Kunze war fest davon überzeugt, auf der richtigen Spur zu sein, zumal die Person auf dem leider etwas unscharfen Bild der Überwachungskamera des Geldautomaten Ähnlichkeit mit Markus Schaller hatte. Auf dem Passamt hatte sich Kunze von dem Gesuchten eine Kopie des Personalausweises besorgt. Kunze schlug Wegner vor, mit Hilfe der Medien öffentlich nach Markus Schaller zu fahnden, doch der Soko-Leiter lehnte ab. Nach dem Desaster mit Haider und Pfaff wollte er nicht noch jemanden zu Unrecht an den Pranger stellen. Er gestattete Kunze lediglich, Schaller im polizeilichen Fahndungssystem zur Aufenthaltsermittlung auszuschreiben. Zähneknirschend musste sich Kunze damit zufriedengeben und hoffen, dass die Zielperson irgendwann von einer Polizeistreife kontrolliert würde, die ihm dann seinen momentanen Aufenthaltsort mitteilen würde.
Viele Ermittlungen in dem Fall waren äußerst mühsam und zeitaufwendig. In der Hoffnung, irgendwelche Anhaltspunkte oder Hinweise zur Aufklärung der schrecklichen Verbrechen zu erlangen, wurde die gesamte Verwandtschaft von Radecke und Otte befragt. Ebenso ihre Bekannten, soweit sie ausfindig gemacht werden konnten.
Radeckes Bekanntenkreis war riesig und seine beiden im Büro befindlichen Adressbücher quollen fast über. Das eine war ein handgeschriebenes Notizbuch, das andere eine elektronische Datei auf seinem E-Mail-Account. Außerdem war Radecke ja mit Daniel Weiß verheiratet, was den Kreis von Kontaktpersonen noch um einiges erweiterte. Kriminalkommissar Schuster und seine Helfer hatten alle Hände voll zu tun.
Dagegen hatte Philipp Otte fast wie ein Eremit gelebt. Er hatte in dem maroden Mehrfamilienhaus, in dem er gewohnt hatte, zu niemandem Kontakt gepflegt. Seine Eltern waren schon vor Jahren verstorben. Der 62-Jährige hatte einige Verwandte, die ihn aber schon jahrelang nicht mehr gesehen oder gesprochen hatten. Im Gegensatz zu Radecke hatte er sein Leben nach der Entlassung aus dem Priesteramt nicht mehr in den Griff bekommen. Was er angepackt hatte, war danebengegangen. Schließlich hatte er Sozialhilfe beantragen müssen, auf die er bis zu seinem Tod angewiesen gewesen war.
Wegner setzte bei den Ermittlungen noch auf ein anderes Pferd. Er krallte sich an der These fest, dass der Täter, der Otte das Herz herausgeschnitten hatte, ein Fachmann gewesen sein musste. So nahm er Doktor Karmann wieder verstärkt ins Visier, nachdem Nawrod diese Spur nicht mehr weiterverfolgt hatte. Der Soko-Leiter ließ den Herzchirurgen beschatten und versuchte jedes Detail seiner Biografie in Erfahrung zu bringen. Jetzt war es Wegner, der Staatsanwalt Brügge bekniete, in Anbetracht der grausamen Taten Beschlüsse für die Überwachung der Telefone und Internetanschlüsse des Arztes beim Amtsgericht Heidelberg zu beantragen.
Aufgrund der Presseveröffentlichungen waren inzwischen auch über hundert Hinweise eingegangen, die allesamt akribisch abgearbeitet werden mussten.
Gleich zwei Mitglieder der Soko hatten unter anderem die Aufgabe, die Herkunft des von Haider ausgehändigten Handys abzuklären. Außerdem waren sie dafür zuständig, sämtliche Daten auszuwerten, die sich in den Speichern befanden. Das Adressbuch war natürlich leer, was ihnen viel Arbeit ersparte. Die beiden waren gerade dabei, die SMS -Kontakte zeitlich zu erfassen und sie in eine Excel-Tabelle zu übertragen, als das Handy zweimal piepste. Die eingegangene SMS hatte folgenden Wortlaut: »Forderung bleibt bestehen. Das ist die letzte Drohung. Bei Nichterfüllung wird Geisel getötet. Weitere Aktionen werden folgen. Paket ist unterwegs.«
Zwei Stunden später traf das angekündigte Paket ein. Es enthielt die linke Hand eines Mannes. Der Mittelfinger fehlte. Zweifelsohne war es Radeckes Hand. Wegner rief sofort den Polizeipräsidenten an, der
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