Die Sünde
sonst hätte sie es schon längst getan. Sie können natürlich nicht wissen, dass Sie schon über zwei Stunden in meiner Obhut sind. Ihre Kollegin hat also keinen Schimmer, wo Sie mitten in der Nacht abgeblieben sind. Ich bezweifle, dass Sie überhaupt vermisst werden. Und morgen früh wird es zu spät sein. Ich werde dieses Haus bis auf die Grundmauern niederbrennen. Von Ihnen und den anderen Leichen wird nur noch ein Häufchen Asche übrig sein.«
Nawrod änderte seine Taktik. Er wusste selbst nicht, warum. Es war eine Eingebung oder wie man es sonst nennen könnte. Seine Stimmung war von einer Sekunde auf die andere umgekippt.
»Bevor Sie mich töten, hätte ich noch gerne gewusst, was es mit Ottes Herz auf sich hatte. Ich verspreche Ihnen, dass ich es niemandem erzählen werde.« Nawrod grinste breit. Der Satz war ihm ganz spontan eingefallen. Dreyer hatte genug triumphiert. Zu mehr Genugtuung wollte er ihm nicht verhelfen. Er würde keinesfalls winselnd sterben.
Dreyer lächelte ebenfalls. »Das Versprechen nehme ich Ihnen ab. Ich denke, ich kann mich da auf Sie verlassen.«
»Wenn Sie möchten, kann ich es auch bei meinem Leben schwören, Sie Hurensohn!«
»Auch der war gut. Ausgenommen das letzte Wort. Aber ich will mal nicht so sein. Mit Ottes Herz wollte ich nicht nur den Druck verstärken, sondern auch die Spur auf Doktor Karmann lenken. Ich wusste zufällig, dass er früher bei den Herztransplantationen als Einziger in ganz Deutschland die beiden großen Hohlvenen auf Gehrung zusammenflickte. Er hatte seine Methode irgendwann einmal in einer Fachzeitschrift als Nonplusultra dargestellt. Ich wollte diesem Angeber und Betrüger eins auswischen, denn ich war mir sicher, dass er wegen Ottes Herz sehr bald ins Visier der Polizei geraten würde.«
»Warum haben Sie gegen Otte, Radecke und Holzmann nicht einfach Anzeige erstattet?«
»Das ist jetzt aber Ihr bester Witz, Herr Nawrod.« Dreyers Lachen klang gallig. »Sie wissen doch genau, dass die Taten schon längst verjährt sind. Als ich mit Blut in meinen Unterhosen nach Hause kam, ist meine Mutter am nächsten Tag mit mir zur Polizei gegangen. Vielleicht lag es daran, dass ich kaum ein Wort hervorbrachte und sie nach Alkohol roch. Meine Mutter war Alkoholikerin, und ich war erst elf. Einen Tag zuvor war ich brutal von Holzmann vergewaltigt worden. Er war der Schlimmste und hatte obendrein noch den Größten. Es tat höllisch weh. Der Polizist sagte, er könne da nicht viel machen, da Aussage gegen Aussage stünde. Dennoch nahm er die Anzeige auf. Für Otte, Radecke und Holzmann hatte das keine besonderen Folgen. Sie gingen straffrei aus. Meine Mutter nahm sich kurz darauf das Leben und ich kam in ein Heim. Sie hat es wohl nicht verkraftet, dass sie mich nicht beschützen konnte.«
»Aber es gibt doch einen Missbrauchsbeauftragten. Der hätte den Stein ebenso ins Rollen gebracht. Holzmann hätte sich in seiner hohen Position nicht mehr halten können und vermutlich wäre der Papst mit ihm untergegangen.«
Dreyer lachte höhnisch. »Sie legen wohl immer noch eine Schippe drauf. Ich wusste gar nicht, dass ein Kriminalbeamter so viel Humor haben kann, zumal er weiß, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hat. Selbstverständlich ist mir bekannt, dass es einen Missbrauchsbeauftragten gibt. Bischof Semmler genießt in der Öffentlichkeit und bei hohen Politikern auch den besten Ruf. Aber Insider wissen, dass man mit Semmler den Bock zum Gärtner gemacht hat. Ich bin sicher, dass er vor seiner Ernennung absolut reingewaschen wurde. Dem wird man nichts mehr anhängen können.«
»Übertreiben Sie da nicht ein bisschen? Ich fürchte, Sie sehen in jedem Schäflein einen verkleideten Wolf. So etwas nennt man Verfolgungswahn, lieber Herr Doktor Dreyer.«
»Ich bitte Sie, Herr Nawrod. Wenn Sie sich mit dem Thema schon ausgiebig befasst hätten, wären Sie zu dem gleichen Schluss gekommen. Semmler redet wie alle, die in der katholischen Kirche mit dem schmutzigen Thema in irgendeiner Weise zu tun haben, mit gespaltener Zunge.«
»Verstehe! Deshalb haben Sie uns Radeckes gespaltene Zunge geschickt. Es sollte eine Warnung an die Kirche sein, endlich mit der Lügerei aufzuhören.«
»Sie haben es erfasst. Ich bin überzeugt davon, dass die Botschaft bei denen, die sie betrifft, angekommen ist.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Der Vatikan hat bis jetzt noch keine Stellungnahme abgegeben. Das heißt nichts anderes, als dass man sich in der Kurie nicht einig
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