Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünde

Die Sünde

Titel: Die Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toni Feller
Vom Netzwerk:
abgebildet hätte.
    Während Nawrod Jacke und Schuhe auszog, versuchte er sich zusammenzureißen und die Lage, so nüchtern es ging, abzuschätzen. Wollte ihn die Kollegin verführen? Hatte es bei ihr gefunkt, ohne dass er es gemerkt hatte? Oder gehörte das zu der Falle, in die sie ihn vielleicht locken sollte? Seit wann hatte er nicht mehr mit einer Frau geschlafen? Mit seiner Frau, müsste es heißen, denn nachdem Eva ihn verlassen hatte, war er mit keiner anderen im Bett gewesen. Ihm war auch nie danach gewesen. Aber jetzt? Nein, er liebte Eva und würde diese Liebe nicht kaputt machen. Aber Nesrins nackte Beine und wie sie sich vorhin über die Couch beugte, als sie das Laken glatt strich?
    »Vergiss es, Jürgen«, kam es amüsiert über Yalcins Lippen. Sie hatte bemerkt, wie sich seine Augen an ihren Beinen festsaugten. »Wenn du damit Probleme hast, ziehe ich mich gerne um.« Sie lachte und Nawrod wusste in diesem Moment, dass er mit seinen Überlegungen völlig falsch gelegen hatte. Die Kollegin war zwar türkischer Abstammung, aber ganz offensichtlich keine Spur von prüde, wie er es eigentlich von einer Türkin erwartet hätte. Sie war einfach nur eine junge Frau, die sich altersentsprechend locker gab und an ihrem momentanen Outfit nichts Besonderes fand.
    Beschämt sah Nawrod zu Boden. »Entschuldige, Nesrin, ich dachte … na ja, ich …«
    »Man sah es dir an, was du dachtest«, unterbrach ihn Yalcin lachend. »Komm jetzt und setz dich neben mich, damit wir endlich anfangen können!«
    Die erste halbe Stunde tat sich Nawrod beim Durchforsten der unzähligen Dateien sehr schwer. Yalcin musste ihm immer wieder Ratschläge geben, wie man am besten vorging und welche Suchfunktionen man benutzen konnte. Dennoch waren sie gezwungen, herausgefilterte Texte genau durchzulesen, um darin Hinweise auf die Person zu finden, die der Heidelberger Allgemeinen detaillierte Informationen über die Verstümmelungen und den Mord an dem immer noch unbekannten Opfer lieferte. Es war eine mühselige Arbeit, und nach einiger Zeit fingen Nawrods Augen an zu brennen. Er hatte in den letzten Nächten nicht besonders gut geschlafen. Doch er wollte sich vor Yalcin keine Blöße geben und las weiter. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen, in diesem Wust von Berichten, E-Mails und deren Anhängen einen Hinweis auf den Mörder zu finden. Kurz nach Mitternacht schaute er auf die Uhr. Es war das Letzte, was er noch bewusst wahrnahm.
    Durch den nicht ganz heruntergelassenen Rollladen blinzelte die Sonne herein. Als Nawrod seine Augen aufschlug, war seine Hand auf Nesrins nackter Schulter das Erste, was er sah. Fast ruckartig zog er sie zurück und richtete sich erschrocken auf. Nicht zugedeckt, ihm den Rücken zugewandt, lag die junge Kollegin, im tiefen Schlaf versunken, direkt neben ihm. Ihr Bademantel war verrutscht, sodass er sowohl ihre Schulter als auch die linke Seite ihres nackten Unterkörpers preisgab. Es durchfuhr ihn wie ein Blitz. Hatte er etwa mit ihr geschlafen? Er tastete nach dem Reißverschluss seiner Hose. Er war halb geöffnet. Nawrod versuchte, die Zeit vor seinem Einschlafen noch einmal Revue passieren zu lassen. Da war nichts, absolut nichts. Oder doch? Nein. Jetzt war er sich sicher. Er stand leise auf. Trotz des aufgeklappten Fensterflügels war es angenehm warm in dem Raum. Er war immer noch mit Hemd und Hose bekleidet. Nur seine Schuhe hatte er ausgezogen. Beim Aufstehen trat er fast auf sein Laptop, das neben dem Bett lag. Er sah auf Nesrin hinunter. Jeder Maler, jeder Fotograf hätte sich nach diesem Motiv die Finger geleckt. Ein Zimmer, von schmalen Lichtstreifen der Sonne durchzogen, und auf dem Bett liegend eine junge, fast noch kindlich wirkende Frau mit den anmutigsten Formen von Weiblichkeit. Ihre langen Haare, halb das Gesicht verdeckend, ungeordnet und dennoch so, wie sie in diesem Augenblick schöner nicht sein konnten. Nawrod hielt inne. Wie konnte sich eine junge, wahrscheinlich streng erzogene türkische Muslima ihm gegenüber so freizügig geben? Das passte überhaupt nicht zusammen und auch ganz und gar nicht zu dieser konservativen Wohnungseinrichtung. Wie soll man aus Frauen jemals schlau werden, dachte er, nahm die dünne Bettdecke und legte sie sanft über die immer noch fest schlafende Yalcin. Wie lange hatte sie heute Nacht wohl gearbeitet?
    Geräuschlos verließ er die Wohnung, nachdem er zuvor den auf dem Tisch liegenden Schlüsselbund an

Weitere Kostenlose Bücher