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Die Sünde

Die Sünde

Titel: Die Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toni Feller
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das mal so ausdrücken darf, auf Gehrung geschnitten.«
    »Und was folgern Sie daraus?«, fragte Nawrod ungeduldig.
    »Schwierig zu sagen. Es kann Zufall sein. Allerdings sind beide Schnitte nahezu identisch.« Dr.   Westhof zog eine Schublade ihres Schreibtisches auf und entnahm daraus fünf DIN -A4-große Fotos, die sie vor den beiden Ermittlern ausbreitete. Die Aufnahmen waren von brillanter Schärfe. Man konnte jedes noch so kleine Detail an dem von Frau Dr.   Westhof untersuchten Herzen sehen. Die Rechtsmedizinerin deutete auf zwei Fotos, auf denen jeweils nur das Ende einer großen Arterie zu sehen war. Die Bilder waren stark vergrößert. Deutlich war zu erkennen, dass die Venen in einem Winkel von etwa 30   Grad durchtrennt wurden. Dann deutete Dr.   Westhof auf ein anderes Bild, auf dem das gesamte Herz zu sehen war. Sie nahm einen Kugelschreiber zu Hilfe.
    »Hier sind die beiden schräg durchschnittenen Hohlvenen!« Die Spitze des Kugelschreibers hüpfte zweimal vom oberen zum unteren Ende des Herzens.
    »Und hier sieht man deutlich, dass die drei Ausgänge der Aorta sowie die Lungenvenen rechtwinklig durchtrennt wurden.« Die Rechtsmedizinerin zeigte auf die entsprechenden Stellen.
    »Um nun auf Ihre Frage zurückzukommen, Herr Nawrod: Die Gehrungsschnitte an den Hohlvenen könnten einen bestimmten Grund haben.«
    »Und der wäre?«
    »Ich möchte mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber es könnte darauf hindeuten, dass unser Mörder ein Herzchirurg ist, dessen Eigenart es sein könnte, bei einer Transplantation die Hohlvenen, aus welchem Grund auch immer, auf Gehrung zusammenzuflicken. Vielleicht, um damit die Festigkeit der Nahtstelle zu erhöhen.«
    »Hm, nicht schlecht, Frau Dr.   Westhof. Darf ich fragen, weshalb Sie sich so geziert haben, uns dieses wichtige Detail mitzuteilen?«
    »Können Sie sich das nicht denken?« Die Rechtsmedizinerin schaute Nawrod ernst an.
    »Lieber Jürgen«, schaltete sich Sabine Bauer ein, »das Herzzentrum gehört, wie das Gerichtsmedizinische Institut, zur Universitätsklinik Heidelberg. Wenn wir aufgrund des Hinweises beginnen, in der Herzklinik zu ermitteln, würde das automatisch auf Barbara zurückfallen. Stimmt’s?«
    »Du hast es erraten. Ich könnte dann in enorme Schwierigkeiten kommen. Leider ist es immer noch so, dass es unter den Ärzten, zu denen ich ja auch gehöre, einen Ehrenkodex gibt, der … nun ja … der …«
    »… der besagt, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt«, ergänzte Nawrod und schüttelte den Kopf.
    »Nehmen wir mal an, meine zugegebenermaßen sehr dünne Theorie ist völlig unbegründet«, fuhr Frau Dr.   Westhof fort. »Dann wirbeln Sie im Kollegenkreis jede Menge Staub auf und ich kann unter Umständen meinen Hut nehmen.«
    »Und nehmen wir mal an, Sie hätten dieses Detail für sich behalten. Es wäre aber die entscheidende Spur zur Ermittlung des Täters, der, weil er sich nach wie vor sicher fühlt, unbeirrt weiter mordet, nur weil Sie Schwierigkeiten befürchten.« Nawrod drehte Frau Dr.   Westhof den Rücken zu und ging zwei Schritte Richtung Fenster. Er verschränkte die Arme vor der Brust und schaute auf den Neckar, der weit unten träge dahinfloss. Sabine Bauer und Barbara Westhof sahen sich fragend an. Es vergingen endlose Sekunden des Schweigens, bis sich Nawrod umdrehte und Frau Dr.   Westhof mit festem Blick ansah.
    »Ich kann Sie verstehen, Frau Dr.   Westhof«, sagte er freundlich, aber bestimmt. »Doch Sie sind vereidigte Rechtsmedizinerin. In einem solchen Fall haben Sie keine Wahl. Sie haben ausschließlich auf der Seite des Gesetzes zu stehen und dürfen auch nicht im Entferntesten daran denken, einen Ihrer Kollegen, der als Täter infrage kommen könnte, zu schützen.«
    »Meinen Sie, das weiß ich nicht«, antwortete Barbara Westhof in brüchigem Tonfall. »Bevor ich Ihnen den Hinweis gab, habe ich mir über die Folgen meiner Feststellungen schon das Hirn zermartert.«
    Diese Stimme, dachte Nawrod. Sie wirkte jetzt noch zerbrechlicher, noch zarter als zuvor. In diesem Moment tat ihm die aufgrund ihrer Größe und Statur äußerlich so robust wirkende Rechtsmedizinerin leid. Sie befand sich zweifellos in einem Zwiespalt.
    »Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte Nawrod. »Sie geben mir diese Aufnahmen und ich verspreche Ihnen, dass ich bei den Ermittlungen gegenüber Ihren Kollegen nie erwähne, von Ihnen den Hinweis bekommen zu haben. Ich werde mit den Aufnahmen einfach bei den

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