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Die Sünde

Die Sünde

Titel: Die Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toni Feller
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Opfers mit folgender Botschaft: E xaudi deprecationem meam . Diese drei Wörter wurden mit Höre mein Flehen von der Kollegin Bauer richtig übersetzt. Der Text korrespondiert mit der schon erwähnten Annahme, dass der Täter unter allen Umständen auf etwas aufmerksam machen möchte. Er fordert explizit den Kollegen Nawrod auf, ihm zuzuhören. Bildlich gesprochen schärft er das Messer, mit dem er schneiden will.
    Ich habe einen Suchlauf in kirchlichen Texten gestartet. Es liegt nahe, dass der Mörder die drei Worte aus Psalm 61 entnommen hat, wo es weiter heißt: Achte auf mein Beten. Du bist meine Zuflucht, mein Fels gegen die Feinde. In deinem Zelt möchte ich Gast sein auf ewig .« Uhl schaute in die Runde und machte wieder eine Pause. Er wollte seinen Zuhörern Zeit geben, diese Worte zu verinnerlichen.
    »Anscheinend will der Täter den Kollegen Nawrod nicht nur als Werkzeug benutzen, so wie er das vor allem auch mit der Presse macht, sondern er erwartet vielmehr auch Hilfe und Zuflucht von ihm. Vielleicht geht er in seinen Gedanken schon so weit, dass sein Leben irgendwann einmal nur noch hinter den dicken Mauern eines Gefängnisses geschützt werden kann.«
    »Und wie interpretieren Sie die dritte Botschaft?«, fragte Sabine Bauer. Sie fand die Erklärungen Uhls äußerst interessant und konnte es kaum abwarten, Weiteres zu erfahren.
    » Ecce veritas et lux sind ebenfalls bekannte biblische Worte, die Sie mit Siehe die Wahrheit und das Licht richtig übersetzt haben. Hieraus kann interpretiert werden, dass der Täter glaubt, er sei im Recht. Seine Taten weisen auf die Wahrheit hin und bringen Licht in das Dunkel. Wo immer das Dunkel auch sein mag.«
    Yalcin gab Nawrod mit dem Ellenbogen einen sanften Stoß. »Was meinst du, plant Haider vielleicht, einen ganz großen Ballon steigen zu lassen?«, fragte sie leise.
    »Schon möglich«, flüsterte Nawrod. »Wenn er unser Mann ist, traue ich ihm alles zu. Er ist Reporter und kennt die Abgründe der Menschheit. Und er hat ganz bestimmt die Fantasie, die nötig ist, einen riesigen Knaller zu landen. Eine Story, die wirklich um die ganze Welt geht und mit der richtig Kohle zu verdienen ist.«
    »Könnten die Herrschaften bitte ihre Diskussion beenden, damit ich fortfahren kann«, rief Uhl laut in Richtung Yalcin und Nawrod. Yalcin hob entschuldigend die rechte Hand. »Sorry, Herr Kollege, wir sind ganz Ohr.«
    Auch Nawrod entschuldigte sich, indem er eine Hand auf die Brust legte und demütig den Kopf senkte. Er wollte den Profiler auf keinen Fall verärgern. Das konnte nämlich gehörig ins Auge gehen. Wenn ihm auch die von ihm ständig verwendeten Worte wie »vielleicht, könnte, möglicherweise, ist zu vermuten, ist so zu interpretieren« gewaltig gegen den Strich gingen. Eines musste er zugeben: Uhl hatte sich in der Kürze der Zeit schon mächtig ins Zeug gelegt. Vieles von dem, was er sagte, war zwar bereits bekannt, aber einiges war für Nawrod und die anderen Soko-Mitglieder neu und hochinteressant.
    » Incrassatum est enim cor suum, et auribus graviter audierunt et oculos suos compresserunt, ne forte videant oculis et auribus audiant et corde intellegant et convertantur.« Uhl betonte den lateinischen Satz so, als sei es der Taufspruch seines erstgeborenen Sohnes. Er schaute in Richtung Sabine Bauer. Über seine Lippen huschte ein Lächeln. Die Kriminaltechnikerin errötete. Uhl würde ihr jetzt bestimmt wieder vor versammelter Mannschaft einen Übersetzungsfehler vorwerfen.
    »Kompliment, Frau Kollegin. Der Lateinprofessor aus Mainz teilte mir mit, sie hätten den Satz nahezu wortgetreu übersetzt.« Uhl lächelte anerkennend. Sabine Bauer atmete erleichtert auf. Als kurzer Beifall aufkam, errötete sie ein zweites Mal und winkte in aller Bescheidenheit ab.
    Uhl projizierte die Übersetzung für jeden sichtbar an die Leinwand. Er wartete eine Zeit lang, bis er sicher war, dass sie jeder gelesen hatte. Danach erhob er seine Stimme: » Denn ihr Herz ist hart geworden, und mit ihren Ohren hören sie nur schwer, und ihre Augen halten sie geschlossen, damit sie mit ihren Augen nicht sehen und mit ihren Ohren nicht hören, damit sie mit ihrem Herzen nicht zur Einsicht kommen, damit sie sich nicht bekehren und ich sie nicht heile .«
    Er machte wieder eine lange Pause und fuhr fort: »Meine Recherchen haben ergeben, dass die Sätze wortgetreu aus der Apostelgeschichte 27 und 28 entnommen wurden. Ich habe mir viele Gedanken über die Bedeutung gemacht. Auch Ihnen

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