Die Sünde
vollem Gange. Da brennt uns nichts mehr an. Die lassen ab heute keinen Pupser mehr, ohne dass wir das mitbekommen.«
»Das beruhigt mich sehr«, antwortete Nawrod.
»Sobald die Anträge für den Staatsanwalt fertig sind, kümmern Sie sich dringlichst um eine lückenlose Biografie der Tatverdächtigen. Wenn Sie Hilfe brauchen, melden Sie sich. Wir müssen alles über sie wissen. Jede Kleinigkeit. Aber seien Sie bitte vorsichtig. Die beiden sind keine Idioten. Wenn sie den Braten riechen, können wir einpacken. Dann war unsere ganze Arbeit umsonst.«
»Wir brauchen noch etwa eine Stunde. Dann wird Kollege Hauk die Anträge zu Staatsanwalt Brügge bringen können. Ich glaube, er weiß am besten, wie man mit dem Vertreter der Anklage umgeht. Währendessen versuchen wir herauszufinden, ob Haider in seinem Haus die Möglichkeit hat, eine Geisel gefangen zu halten, und ob es in seinem Umfeld Frauen gibt, die Ähnlichkeit mit den Frauen auf den Phantombildern haben.«
»Und ich kümmere mich um die Biografie der beiden. Wäre doch gelacht, wenn wir da keine weiteren Mosaiksteinchen fänden.«
»Sehr gut.« Wegner hob seinen Zeigefinger. »Ich verlasse mich auf Sie.«
26
Laut stöhnend erhob sich Radecke von der Pritsche. Die Stromstöße hatten in jedem Winkel seines Körpers Schmerzen hinterlassen, die nur langsam nachließen. Seine Peiniger hatten ihm keine Chance gelassen. Nachdem sie ihn abgeurteilt hatten, gaben sie ihm eine Spritze. Er spürte noch den Einstich, mehr nahm er nicht wahr. Sie hatten ihm Kleidung und Uhr abgenommen. Er war nackt und fühlte sich hilflos wie ein Neugeborener. Als er mit der Hand über seinen dröhnenden Schädel fuhr, stellte er fest, dass sie ihn völlig kahl geschoren hatten.
Er zwang sich, in der engen Zelle ein paar Schritte zu gehen. Es gab an den glatten, grün gestrichenen Wänden nichts zu entdecken. Da war nur das kleine, etwa zehn Millimeter große Loch, aus dem die winzige Optik einer Kamera schimmerte. Hoch oben an der Wand, gegenüber der Pritsche, unerreichbar für ihn. Einen halben Meter unterhalb des Objektivs sah er feine Kratzspuren, als hätte jemand versucht, an der glatten Fläche hochzuklettern.
Er war nicht der Erste, den man in dem engen Verlies eingesperrt hatte. Dessen war sich Radecke sicher. Allein der fremde, ekelhafte Geruch aus einer Mischung von Kot, Urin und Schweiß verschaffte ihm diese Gewissheit. Er war ihm bereits kurz nach seinem Erwachen aus der Bewusstlosigkeit in die Nase gestiegen.
Irgendwann verlor Radecke sein Zeitgefühl. Ab da kam ihm alles wie ein böser Traum vor, aus dem er jeden Augenblick zu erwachen hoffte. Längst schon hatte er die Phase der Hilferufe und des verzweifelten Schreiens hinter sich. Auch hatte er sich bereits an das karge Essen gewöhnt, das ihm durch die Luke an der Tür gereicht wurde.
Was hatte man mit ihm vor? Er zerbrach sich immer wieder den Kopf darüber. Wollte man ihn hier einfach verrecken lassen? Ihm war sehr bald klar geworden, dass man sich an ihm rächen wollte. Er hatte in seiner Zeit als Priester unzählige Male junge Ministranten missbraucht. Ein gutes Dutzend Pfarrer, die sich in Priesterseminaren oder sonst wie kennengelernt hatten, hatten über ganz Deutschland verteilt einen regelrechten Tauschring aufgezogen, in dem sie sich die kleinen Jungs gegenseitig zur Verfügung stellten. Meistens wurde man von einem Kollegen zu einem Besuch eingeladen. Danach revanchierte man sich mit einer Gegeneinladung. Man ließ sich von anderen, nichts ahnenden Kollegen unter einem Vorwand vertreten. Es wurde immer nach dem gleichen Muster vorgegangen. Den gottesfürchtigen Buben jagte man Angst ein, indem man ihnen erzählte, sie seien vom Teufel befallen und kämen in die Hölle, wenn sie nicht gefügig seien. Das Gleiche werde ihnen passieren, wenn sie irgendjemandem erzählen würden, auf welche Weise bei ihnen der Teufel ausgetrieben wurde. Die Methode war todsicher. Jeder Pfarrer hatte seine Buben vor den Besuchen entsprechend vorbereitet. Es gab nie Probleme. Nur ein einziges Mal wurde ermittelt. Eine Mutter hatte Anzeige erstattet, nachdem ihr Sohn das Geheimnis preisgegeben hatte. Radecke konnte sich nicht mehr erinnern, welcher Junge das war und wie er ausgesehen hatte. Aber er wusste, dass sich damals Philipp Otte den Fragen der Polizei stellen musste, denn der Junge stammte aus seiner Pfarrei. Da Otte dichthielt, verlief die Sache sehr schnell im Sand. Die Polizei konnte ihm nicht das Geringste
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