Die Sünde
hatte acht Etagen. Nawrod drückte auf den obersten Klingelknopf. Es meldete sich eine Frauenstimme: »Ja, bitte?«
»Der Postbote, bitte machen Sie auf«, antwortete Nawrod überfreundlich. Ein kurzes Summen des Türöffners und schon waren sie im Haus. Yalcin im Schlepptau begab sich Nawrod über eine Treppe zielstrebig ins Kellergeschoss. Nach zwei Minuten wusste er, was er wissen wollte. An den Stirnseiten der einzelnen Kellerabteile befanden sich einfache, meist mit Vorhängeschlössern gesicherte Lattenverschläge, die einen Einblick in die Parzellen gewährten. Kein Mieter konnte hier unten einen Menschen gefangen halten.
Wieder im Parterre, drückte Yalcin auf den Fahrstuhlknopf. »Vergiss es, wir gehen die Treppe hoch und sehen uns mal die Flure und Wohnungseingangstüren an«, sagte Nawrod. Er war froh, dieses Mal einen triftigen Grund zu haben, nicht mit dem Fahrstuhl fahren zu müssen.
Haiders Wohnung befand sich in der dritten Etage. Ein kurzer Blick, und Nawrod wusste, dass die Tür nicht besonders gesichert war. Das Türschloss würde durch einen kräftigen Tritt aufspringen. Am liebsten hätte er die Sache gleich erledigt und Haider in seiner eigenen Wohnung plattgemacht. Sicher hätte er keine zwei Minuten benötigt, um ihn zum Sprechen zu bringen. Doch das wäre illegal und vor allem strafbar gewesen. Haider würde vor Gericht bei der ersten Gelegenheit erzählen, dass er zu dem Geständnis gezwungen worden sei, und damit wäre jedes Wort, das Nawrod aus ihm herausgequetscht hätte, keinen Pfifferling wert. Ganz im Gegenteil. Die Anklage würde wie ein Kartenhaus zusammenbrechen, das von einem schwachen Luftzug erfasst wird. Nawrod wusste das und deshalb verdrängte er sofort wieder den Gedanken, mit Haider kurzen Prozess zu machen.
»Okay!«, flüsterte er Yalcin zu. »Lass uns schleunigst verschwinden. Nicht, dass uns der Knabe noch sieht. Wer weiß, vielleicht kennt er uns beide schon.«
»Ja, kann schon sein, dass er vor allem dich schon ausgekundschaftet hat«, flüsterte Yalcin zurück. »Ohne Grund hat er dich nicht als sein Werkzeug ausgesucht, wenn man Uhl Glauben schenken darf.«
Yalcin fuhr zum Polizeipräsidium. Nachdem beide eine Weile gedankenversunken geschwiegen hatten, sinnierte Nawrod laut, aber mehr zu sich selbst: »Wenn Haider der Mörder ist, hat er das Opfer nicht in seiner Wohnung, sondern irgendwo anders gefangen gehalten.«
»Was macht dich da so sicher?«, fragte Yalcin, deren Gedanken ebenfalls um Haiders Wohnverhältnisse kreisten.
»Er hat ihm das Herz herausgeschnitten und damit hat er eine Leiche an der Backe, die es zu beseitigen gilt. Er kann sie unmöglich in seiner Wohnung aufbewahren. Die würde schon am dritten Tag dermaßen penetrant stinken, dass es Haider nicht mehr aushalten könnte.«
»Und wenn er sie in eine Plastikplane verpackt hat?«
»Ich denke, es ist äußerst schwierig, einen erwachsenen Menschen luftdicht zu verpacken. Da kann man nicht einfach ein Plastiktütchen nehmen und rein damit.«
»Vielleicht hat er die Leiche zerstückelt und in einer Gefriertruhe deponiert? So könnte er ein Teil nach dem anderen unauffällig entsorgen.«
Nawrod sah Yalcin erstaunt an und pfiff durch die Zähne. »Alle Achtung, Kleine … äh entschuldige, ich meine Nesrin, du denkst mit. Das wäre natürlich eine Möglichkeit. Aber es gehört einiges dazu, einen Toten zu zerlegen und portionsweise zu verpacken.«
»Ein Starermittler namens Nawrod hat mir mal ins Ohr geflüstert, in unserem Job sei nichts unmöglich. Oder habe ich mich da verhört?« Nesrin grinste Nawrod an, während sie, scheinbar ohne auf Fahrbahn und Verkehr zu achten, in die Römerstraße einbog.
Nawrod nickte. »Wir werden die Observationskräfte anweisen, uns sofort zu melden, wenn Haider mit einem Rucksack das Haus verlässt.«
Kurze Zeit später standen sie vor Wegners Schreibtisch und berichteten von ihrem Gespräch mit Tina Haider. Den Besuch in Haiders Haus verschwiegen sie. Wegner hätte sicher kein Verständnis für das Risiko gezeigt, das damit verbunden war. Haider durfte im jetzigen Stadium der Ermittlungen auf keinen Fall Lunte riechen. Bis zu dem Moment, in dem sie zum Schlag gegen ihn ausholten, musste er sich absolut sicher fühlen.
28
»Sag mal, musste das sein?«, fragte der Blonde vorwurfsvoll. »Musstest du dir deinen Kopf unbedingt kahl rasieren?«
»Sieht doch geil aus, oder?«, sagte der andere. »Mir hat es riesigen Spaß gemacht, unserem Gast die Haare
Weitere Kostenlose Bücher