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Die Sünde

Die Sünde

Titel: Die Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toni Feller
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sie verraten haben. Aber wer? Niemand traute sich, mit den anderen Kontakt aufzunehmen, denn jeder konnte der Verräter sein. Mit der Zeit sickerte durch, dass nicht alle sündigen Priester aus ihren Ämtern gejagt worden waren. Einige wurden aus unerklärlichen Gründen verschont. Hatte der Verräter nicht alle Namen preisgegeben? Der Skandal drang nie an die Öffentlichkeit. Wie schon seit ewigen Zeiten in der katholischen Kirche üblich, wurde alles unter eine Decke des Schweigens gehüllt.
    Radeckes Hirn arbeitete auf Hochtouren. Ich muss mir eine Strategie zurechtlegen, wie ich mich aus den Fängen dieser paranoiden Mörder befreien kann. Bestimmt diskutieren sie jetzt über ihr weiteres Vorgehen. Der eine will das Geld. Das habe ich ihm angesehen. Der andere aber will Rache. Er ist derjenige, auf den ich besonders achten muss.
    Bevor Radecke weiter überlegen konnte, ging die Tür auf. Mit festen Schritten kamen sie auf ihn zu. Der Schönling, den er als Stricher kennengelernt hatte, nahm das Skalpell in die Hand.
    »Stopf ihm etwas ins Maul!«, befahl er dem Kahlköpfigen.
    »Nein, ich will ihn schreien hören.«
    Radecke sammelte noch einmal alle Kraft, die in ihm steckte, und rief laut um Hilfe. Es war das Einzige, was er noch tun konnte. Dann ließ die scharfe Klinge des Skalpells ein gewaltiges Feuer vor seinem inneren Auge explodieren. Der Schmerz raubte ihm den Atem und in diesem Moment bereute er all seine Sünden.
    29
    Frau Lelle hatte den Termin arrangiert. Als Nawrod das Hauptgebäude des Herzzentrums betrat, stieg ihm sofort der eigentümliche Krankenhausgeruch in die Nase. Nawrod empfand ihn als unangenehm, doch gleichzeitig vermittelte er ihm auch ein Signal, das Hilfe versprach, wenn man sie brauchte.
    Wegweiser führten ihn und Yalcin über zwei Etagen direkt zum Vorzimmer von Professor Knaus. Sie wurden erwartet. Der Leiter der Herzklinik war Mitte sechzig und von stattlicher Figur. Ein grauer, etwa drei Zentimeter breiter Schatten, der sich horizontal von Schläfe zu Schläfe über den Hinterkopf zog, ließ einen Haarkranz auf dem sonst völlig kahlen Kopf erahnen. Als Nawrod die Hände sah, fragte er sich verwundert, wie es möglich sein konnte, mit solchen Pranken komplizierte Herzoperationen durchzuführen.
    Nachdem sich Professor Knaus hinter seinem Schreibtisch zur Begrüßung kurz erhoben hatte, ließ er sich wieder in seinen breiten, lederbezogenen Schreibtischstuhl zurückfallen.
    »Womit kann ich Ihnen dienen?«, fragte er freundlich, während er seinen Besuch durch die randlose Brille mit wachen Augen taxierte.
    Nawrod gab Yalcin mit den Augen ein Zeichen. Sie schlug ihre Kladde auf und legte dem Herzchirurgen langsam und der Reihe nach die von der Gerichtsmedizinerin zur Verfügung gestellten Großaufnahmen des an Nawrod übersandten Herzens vor.
    »Schauen Sie sich bitte die Fotos genau an und sagen Sie mir anschließend, ob Ihnen dabei etwas Besonderes auffällt«, sagte Nawrod in sachlichem, ruhigem Ton.
    Professor Knaus nahm jede einzelne Aufnahme in die Hand. Die beiden Bilder, auf denen die obere und untere Hohlvene im Detail zu sehen waren, schaute er besonders lange an. Hierzu bediente er sich einer Lupe, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Er atmete tief durch.
    »Ist das das Herz des Mordopfers, über das in allen Zeitungen berichtet wurde?«
    »Ja, die Aufnahmen wurden uns von der Gerichtsmedizin zur Verfügung gestellt.«
    »Doktor Karmann«, seufzte Professor Knaus betroffen und schwieg.
    »Was ist mit Doktor Karmann?«, fragte Nawrod nach einer Weile absoluter Stille.
    »Die eigenartige und keineswegs übliche Durchtrennung der Hohlvenen. Er ließ sich da nicht reinreden. Das dürfte die Handschrift des Kollegen … Entschuldigung, Ex-Kollegen Karmann sein.«
    »Ex-Kollegen?« Yalcin schaute den Professor fragend an.
    »Doktor Karmann arbeitet schon lange nicht mehr in der Uniklinik. Ihm wurde nach dem Herzklappenskandal und seiner nachfolgenden Verurteilung nahegelegt, zu kündigen und seine Approbation abzugeben. Das hat er getan.«
    »Ich habe von der Sache gehört«, antwortete Nawrod sachlich.
    »Es stand damals in allen Zeitungen.« Wie beiläufig schaute Professor Knaus noch einmal auf die Fotos und runzelte die Stirn.
    Yalcin schlug wieder ihre Kladde auf und notierte in groben Zügen die Aussage des Herzspezialisten. »Was ist aus Doktor Karmann geworden? Arbeitet er heute wieder als Chirurg?«
    »Das glaube ich kaum«, erwiderte Professor Knaus. »Der Mann

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