Die Sünde
Sie können sich darauf verlassen«, erwiderte der Chirurg mit ernstem Gesicht.
Sie wollten gerade ins Fahrzeug einsteigen, als Nawrods Handy klingelte. Wegner war am anderen Ende. »Es ist wieder ein Paket gekommen«, sagte er knapp.
»Verdammte Scheiße! Weiß man schon, was drin ist?«, stieß Nawrod entsetzt hervor.
»Bauer und Beck sind dabei, es zu öffnen. Ich schlage vor, dass Sie so schnell wie möglich ins Präsidium kommen.«
»Schon unterwegs«, entgegnete Nawrod.
»Ist das eingetreten, was ich vermute?«, fragte Yalcin, bevor sie den Motor startete. Nawrod nickte. Ihm wurde plötzlich kalt. Er fröstelte, verschränkte die Arme vor der Brust und zog sein Genick ein. Bis zum Präsidium sprachen beide kein Wort. Jeder war so sehr in Gedanken vertieft, dass selbst das Motorgeräusch störend wirkte.
Die Begrüßung ersparte sich die Kriminaltechnikerin. Als die beiden ihr Büro betraten, sagte sie trocken: »Er ist relativ groß und gehörte einem Mann.«
Yalcin und Nawrod schauten sie mit ernsten Augen an. »Wo ist das Paket?«, fragte Nawrod noch etwas außer Puste, denn sie waren die Treppen hochgerannt.
»Beck kümmert sich im Spurensicherungsraum gerade darum. Ihr wisst ja, DNA und daktyloskopische Spuren. Ich habe gleich Bilder gemacht. Wollt ihr sie sehen?«
»Natürlich!«, antwortete Nawrod etwas gereizt.
Bauer verkabelte den vor ihr liegenden Fotoapparat mit ihrem PC und drückte ein paar Tasten. Dann drehte sie den Monitor in Richtung der beiden. Die Aufnahmen waren gestochen scharf.
»Du hast das Corpus delicti im Original gesehen, was meinst du, um welchen Finger könnte es sich handeln?«, fragte Nawrod, bemüht, seine innere Anspannung nicht zu zeigen.
»Wenn ich mich nicht irre, ist das der linke Mittelfinger eines großen, schon etwas älteren Mannes. Wir werden ihn sofort in die Gerichtsmedizin bringen.«
»Du meinst also nicht, dass der Finger von unserem bisherigen Opfer stammen könnte? Der Täter könnte ihn ja vor dem Verschicken ein paar Tage eingefroren haben?«
»Das glaube ich nicht. Dazu ist er zu groß. Er passt nicht zu der Größe des ersten Fingers. Aber Barbara wird uns sehr bald sagen können, ob ich recht habe oder nicht.«
»Das heißt, es steht ein weiterer Mord bevor!« Nawrod rieb mit beiden Händen seine Schläfen.
»Uhl hatte recht. Der Täter treibt ein Spiel, dessen Ausgang wir noch nicht erkennen«, antwortete Yalcin betroffen.
»Und die Botschaft«, stieß Nawrod heiser hervor. »Hat er wieder eine Botschaft beigefügt?«
Die Kriminaltechnikerin nickte und drückte erneut eine Taste. Auf dem Bildschirm erschien die Aufnahme eines weißen Zettels mit folgendem Text: Quod fuit, ipsum est, quod futurum est. Quod factum est, ipsum est, quod faciendum est.
»Ich verstehe nur Bahnhof. Konntest du es schon übersetzen?« In Nawrods Stimme schwang abermals Gereiztheit mit.
»Es ist kein schwerer Text. Wie bei den anderen Botschaften könnte er wieder aus der Bibel entnommen worden sein. Zumindest hört er sich danach an. Der Täter teilt uns Folgendes mit: Was geschehen ist, wird wieder geschehen, was man getan hat, wird man wieder tun .«
»Mein Gott, das Schwein macht weiter und wir können nichts dagegen tun«, stöhnte Nawrod verzweifelt.
»Irgendwann wird er einen Fehler machen. Alle machen irgendwann einen Fehler, Jürgen.« Sabine Bauers Stimme klang ruhig und voller Zuversicht.
»Wir haben es bei der letzten Besprechung noch unter der Decke gehalten, weil wir erst Uhls Untersuchungsergebnisse hören wollten«, sagte Nawrod etwas betreten. Ihm war es unangenehm, dass Sabine Bauer sich jetzt gleich übergangen fühlen würde. Sie sah ihn erwartungsvoll an.
»Wegner, nein, wir alle waren der Meinung, das Ganze sei noch nicht so richtig spruchreif. Deshalb …«
»Rück schon raus damit, Jürgen«, unterbrach ihn Bauer mit ernster Miene.
»Wir haben zwei Tatverdächtige. Der eine heißt Ansgar Haider. Er ist 32 Jahre alt, ledig, wohnt in der Sophienstraße und ist freier Journalist. Der andere ist Redakteur bei der Heidelberger Allgemeinen und heißt Robert Pfaff. Er ist ein Jahr älter als Haider, verheiratet und hat zwei Kinder.«
»Schön, dass ich das auch mal erfahre«, antwortete die Kriminaltechnikerin beleidigt. »Arbeitet ihr beide immer so? Wenn ja, dann kann ich euch jetzt schon prophezeien, dass ihr damit jede Menge Freunde gewinnt.«
»Tut uns leid«, schaltete sich Yalcin ein. »Natürlich hätten wir dich informieren
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