Die Sünden der Gerechten - Rankin, I: Sünden der Gerechten - The Impossible Dead
stehen.
» Ich zeig Ihnen was « , erklärte sie. Der Fahrstuhl beförderte sie ruckelnd ins oberste Stockwerk. Als sie auf den offenen Gang traten, wurden sie von einem heftigen Wind getroffen. Sie breitete die Arme aus und stellte sich dem Angriff aus der Luft.
» Früher hab ich’s hier geliebt « , erklärte sie ihm. » Hab immer damit gerechnet, dass ich gleich abhebe und mich der Wind woandershin trägt. «
Kaye starrte in den Abgrund, und einen Augenblick lang wurde ihm schwindlig. Dann konzentrierte er sich auf die Aussicht über das Wasser Richtung Edinburgh.
» Eine Tante von mir hat hier gewohnt « , sagte Teresa Collins. » Eigentlich gar keine echte Tante, bloß eine Freundin meiner Mutter. Ich war immer bei ihr, wenn mein Dad zu Hause war. « Sie sah, dass Kaye nicht verstand. » Er war bei der Armee – oft nicht zu Hause. Wenn er zurückkam, wurde immer viel gesoffen und gevögelt, und manchmal gab’s auch Schläge. «
» Ihre Mutter wollte nicht, dass Sie das sehen? «
Collins zuckte mit den Schultern. » Entweder das oder sie wollte verhindern, dass er dasselbe mit mir macht. « Sie hielt inne, fixierte ihn mit Blicken. » Die ganzen Orte, an die er gefahren ist … Die Geschichten, die er erzählt hat … Und dabei hat er mir nie was mitgebracht. Kein einziges Mal. Männer sind echte Schweine, was? Hab nie einen getroffen, der anders war. «
» Dann bin ich auch ein Schwein. «
Sie widersprach nicht, versuchte stattdessen erneut, sich eine Zigarette anzuzünden. Er hielt seinen Mantel auf, um die Flamme vor dem Wind zu schützen.
» Danke « , sagte sie und beugte sich über die Brüstung, blies Rauch aus.
» Was ist aus Ihrer Tante geworden? « , fragte er.
» Weggezogen. Irgendwann hab ich gehört, dass sie gestorben ist. «
» Und Ihre Mutter und Ihr Vater? «
» Mum hatte einen Schlaganfall. Ist ein Jahr drauf gestorben. Keine Ahnung, wo mein Dad ist. «
» Wollen Sie’s wissen? «
Sie schüttelte den Kopf.
» Gibt’s derzeit keinen Mann in Ihrem Leben, Teresa? «
» Immer mal wieder « , gab sie zu. » Aber nur, wenn ich knapp bei Kasse bin. « Das Lächeln wirkte verzagt. » Haben Sie vielleicht ein bisschen Kohle übrig? «
» Ich kann Ihnen zwanzig Pfund leihen. «
Sie sah ihn an. » Und warum sollten Sie, Mr Supercop? «
Er zuckte mit den Schultern und vergrub die Hände tief in den Manteltaschen.
» Was wollen Sie? « , fragte sie und hatte Mühe, sich die Haare aus den Augen zu streichen.
» Ich bin nur neugierig. « Sie wartete, bis er weitersprach. » Sie haben Ihre ursprüngliche Anzeige gegen Paul Carter nicht weiterverfolgt. Aber später dann schon. Warum haben Sie es sich anders überlegt? «
» Ich wollte einfach nicht, dass er damit durchkommt. «
» Das klingt wie einstudiert. «
» Na und? Ich hab die Frage so oft beantwortet. Glauben Sie, mich hat jemand dafür bezahlt – ist es das? «
Seine Augen verengten sich. » Daran hatte ich gar nicht gedacht « , sagte er ruhig.
Sie wandte sich von ihm ab, schlang die Arme um ihren Körper, die Zigarette fest zwischen Daumen und Zeigefinger.
» Mich hat niemand bezahlt « , sagte sie. » Ich hab’s gemacht, weil’s jemand machen musste. «
» Aber Sie haben mit jemandem darüber gesprochen? Wollen Sie das damit sagen? « Er machte einen Schritt auf sie zu, dachte wieder an das, was sie im Café gesagt hatte – armer Mann … Pauls Onkel? Alan Carter?
Sie starrte zum Himmel. Der Wind hatte sich erneut in ihren Haaren verfangen, schlug sie ihr ins Gesicht und ließ sie anscheinend verstummen.
» Alan Carter? « , fragte Kaye noch einmal.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und breitete erneut die Arme aus. Eine Sekunde lang dachte er, sie wolle sich in den Abgrund stürzen. Er hatte sogar schon eine Hand nach ihr ausgestreckt. Sie hatte die Augen geschlossen, wie ein Kind,
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