Die Sünden des Highlanders
verschlug es ihr vor Verblüffung erst einmal die Sprache. »Walin!«, stammelte sie schließlich. In ihrem Kopf schwirrten so viele Gedanken herum, dass ihr nichts weiter über die Lippen kam.
»Ich musste dich finden, Morainn«, sagte der Junge und zerrte so heftig an seinem schmutzigen Hemd, um sich von den Dornen zu befreien, dass es schließlich zerriss. »Sie haben mir zwar immer gesagt, dass du in Sicherheit bist und ich mir keine Sorgen machen sollte, und dass du bald wieder zurück wärst, aber sie wollten mir einfach nicht sagen, wo du bist. Ich weiß, dass du dich vor bösen Menschen verstecken musst, aber sie hätten mir ruhig sagen können, wo du bist, ich hätte es niemandem erzählt.«
Morainn seufzte. Die Männer hätten anders mit dem Jungen reden müssen, aber das konnte sie ihnen nicht zum Vorwurf machen, schließlich waren sie auf der Jagd nach Mördern. Zweifellos hatten sie gedacht, Walin wüsste alles, was er wissen musste. Und Walin, der auf keinen Fall wie der kleine Junge wirken wollte, der er war, hatte ihnen wahrscheinlich nichts von seinen wachsenden Ängsten und Sorgen erzählt. Sie hätte die Männer warnen sollen, dass Walin schreckliche Angst hatte, sie zu verlieren. Sie hatte immer gehofft, dass sich das mit der Zeit geben würde, doch der Angriff, weswegen sie ihr Häuschen verlassen mussten – das einzige Zuhause, das der Junge je gekannt hatte –, hatte seine Ängste bestimmt vergrößert. Zudem hatte er mitbekommen, wie die Frau gesagt hatte, dass sie die Hexe tot sehen wolle. Doch Morainn durfte jetzt nicht allzu viel Mitgefühl zeigen. Walin hatte etwas Gefährliches getan, als er nachts allein hierhergewandert war, und er musste lernen, sich nicht noch einmal so töricht in Gefahr zu begeben.
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte sie, verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte, eine strenge Miene aufzusetzen. Das fiel ihr ziemlich schwer, denn sie hatte den Jungen sehr vermisst und hätte ihn jetzt am liebsten in die Arme geschlossen.
»Ich bin Simon und den anderen gefolgt«, antwortete Walin ein wenig unsicher und schuldbewusst, nachdem Morainn ihn weder angelächelt noch umarmt hatte.
»Sie sind geritten, Walin, und ich glaube, sie sind ziemlich schnell geritten. Hast du etwa ein Pferd gestohlen?«
»Nein, ich kann doch gar nicht reiten. Aber sie sind nicht so schnell geritten, weil es dunkel war. Trotzdem habe ich sie aus den Augen verloren. Doch ich hatte ja Knochenbrecher dabei. Er hat Witterung aufgenommen, und wir sind der Spur bis hierher gefolgt. Ich wusste, dass die Männer hier haltgemacht haben, weil sich Knochenbrecher um die eigene Achse gedreht hat. Das tut er immer, wenn er versucht, eine neue Fährte zu finden. Dann habe ich dich hier herumlaufen sehen. Wonach suchst du denn? Kann ich dir helfen?«
»Versuch nicht, mich abzulenken, damit ich nicht schimpfe. Du weißt ganz genau, dass du Schelte verdient hast.«
Seine schmalen Schultern sanken nach vorn. Morainn hatte ihn noch nie so zerknirscht gesehen, auch wenn Walin es schon in frühen Jahren zu einer wahren Meisterschaft darin gebracht hatte. »Ich wollte dich doch nur sehen, und sie wollten mich nicht zu dir lassen und haben mich auch nicht hergebracht.«
»Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass es dafür gute Gründe gab? Sie wollten dich doch nur schützen. Ich habe dich bei all den großen, gut bewaffneten Männern zurückgelassen, damit du in Sicherheit bist. Hast du etwa geglaubt, ich würde dich aus einem anderen Grund allein lassen?«
»Nein. Bringst du mich jetzt wieder zurück?«
Morainn verkniff sich ein Lächeln. Der Junge verstand es wirklich, so traurig auszusehen, dass man ihn einfach nur in die Arme nehmen und all seine Ängste und Verletzungen beschwichtigen wollte, bis er wieder strahlte. Hätte sie ihn nicht schon so lange gekannt, hätte sie gar nicht anders gekonnt. Aber sie wusste, dass es ein Fehler wäre. Wahrscheinlich war er wirklich ein bisschen verletzt und traurig, vielleicht sogar etwas verängstigt. Aber nichtsdestotrotz schielte er unter seinen langen Wimpern zu ihr hoch, um zu sehen, ob sie darauf hereinfiel, dass er jetzt den armen kleinen Jungen spielte.
»Das kann ich nicht«, erwiderte sie und tat, als sehe sie die Freude nicht, die er kaum verhehlen konnte. »Ich muss hierbleiben.«
»Dann kann ich also bei dir bleiben?«
»Jawohl, aber du wirst still sitzen und die Strafpredigt über dich ergehen lassen, die du wahrhaftig verdient
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